Von der Geschwätzigkeit der Schriftsteller. — Es giebt eine Geschwätzigkeit des Zornes, — häufig bei Luther, auch bei Schopenhauer. Eine Geschwätzigkeit aus einem zu grossen Vorrathe von Begriffsformeln wie bei Kant. Eine Geschwätzigkeit aus Lust an immer neuen Wendungen der selben Sache: man findet sie bei Montaigne. Eine Geschwätzigkeit hämischer Naturen: wer Schriften dieser Zeit liest, wird sich hierbei zweier Schriftsteller erinnern. Eine Geschwätzigkeit aus Lust an guten Worten und Sprachformen: nicht selten in der Prosa Goethe’s. Eine Geschwätzigkeit aus innerem Wohlgefallen an Lärm und Wirrwarr der Empfindungen: zum Beispiel bei Carlyle.
Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft II, 97
Neben den genannten Varianten der Geschwätzigkeit, die Nietzsche hier überzeugend aufspießt, ließen sich sicherlich noch weitere finden. Sie alle sind meist anstrengend, manchmal aber auch unterhaltend und in seltenen Fällen anregend. Viel schlimmer als alle Varianten wahrer Geschwätzigkeit scheint mir aber, dass es auch eine nachgeahmte Geschwätzigkeit gibt. Sie behauptet, mit Luthers Zorn für eine Sache zu streiten oder mit kantischer Präzision Begriffe zu schärfen. Tatsächlich aber ist sie lediglich Fassade, Maske. In den 1990er und frühen 2000er Jahren brachte diese Geschwätzigkeit Unmengen an vermeintlich an Foucault geschulten Tiraden hervor. Sie sind verklungen, ohne jeden Nachhall. Weil sie nicht mehr waren, als die Behauptung von Intellekt oder Witz.