Maxim Gorki Theater Berlin

4. Januar 2018

Ans Maxim Gorki Theater in Berlin habe ich keine frühen Theatererinnerungen, die in meine Schul- oder Studienzeit fallen. Das ist deswegen bemerkenswert, weil ich mich mit dem Bau selbst schon früh befasst habe. Grund dafür war allerdings ein anderes Gebäude bzw. ein Denkmal – die Neue Wache.

Als Anfang der 1990er Jahre gestritten wurde, wie die Neue Wache in die deutsche Erinnerungskultur gewissermaßen ‚eingebaut‘ werden kann, habe ich mich länger mit ihrer Geschichte befasst. In diesem Zusammenhang habe ich mir auch das architektonische Gesamtensemble zwischen Unter den Linden und der Dorotheenstraße (ehedem noch Clara-Zetkin-Straße) mit der Universität, dem Zeughaus, eben der Neuen Wache und schließlich der Sing-Akademie, dem heutigen Gorki-Theater, angeschaut.

Geplant wurde das Haus – wie sollte es anders sein – von Schinkel, allerdings wurde es dann erst von Carl Theodor Ottmer realisiert. Überall kann man lesen, dass Alexander von Humboldt hier Ende der 1820er Jahre Teile der Kosmos-Vorlesungen hielt, also der Vorlesungen über die physische Verfasstheit der Welt, die aus seinen Reisen resultierten.

Genutzt wurde das Gebäude aber vor allem von ihrer Besitzerin, der Berliner Sing-Akademie. Ihr gehört das Gebäude bis heute (wie vor einigen Jahren der Bundesgerichtshof feststellen musste). Die Aufführungen der Sing-Akademie waren aber, wie man bei diesem Namen mutmaßen könnte, keine reinen Gesangsaufführungen. 1829 dirigierte Mendelssohn Bartholdy hier Bachs Matthäus-Passion. Zum Theater wurde das Haus erst 1952, um hier vor allem sowjetische Dramen zu spielen (daher dann auch der bis heute gängige Name).

Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, habe ich das Haus vor knapp 15 Jahren erstmals besucht. Erinnern kann ich mich sicher an eine Aufführung von Tschechows Möwe, u.a. mit Burghart Klaußner und Anna Thalbach. Regie führte Katharina Thalbach; die Übersetzung kam von Thomas Brasch, der nur wenige Tage nach der Premiere starb. In dem Programmheft finden sich zwei kleine Gedichte, die er kurz vor seinem Tod anlässlich der Inszenierung geschrieben hat. Das zweite lautet so:

Thalbach und Brasch

Der eine schreibt die Stücke und die andere spielt,
und beide wünschen sich das große Glück
auf dem Theater, wo das Leben schielt.
Was tut die Kunst? Sie schielt zurück.

So schreibt Herr Tschechow über unser Tun:
deines, Katharina, und meines auch.
Ein Lustspiel längst entwachsen seinen Kinderschuhn
sind Schreiber und Spieler auch: Bankkonto mit Bauch.

Wir sollten, sagt Tschechow, lachen
über die Tränen statt sie zu beweinen:
Nur wer sich selbst nicht ernst nimmt kann das machen,
was man Beruf nennt: deinen oder meinen.

(aus dem Programmheft der genannten Aufführung, Rückseite des Titelblatts)

Erinnern kann ich mich an die Aufführung noch sehr gut. Das liegt zunächst an dem Vorhang aus Maschendraht, der den Blick auf die Bühne zwar nicht versperrte, aber eigentümlich unterbrach. Der zweite Grund für meine gute Erinnerung ist, dass ich sehr gespannt war, ob Thalbach, die damals vor allem als Hauptmann von Köpenick von sich reden machte, als Regisseurin überzeugen konnte. Um es ehrlich zu sagen: Ich war eher enttäuscht, was aber vermutlich nicht zuletzt meinem Maßstab geschuldet war. Maßgeblich für meine Ästhetik war damals eindeutig Andrea Breths Möwe an der Schaubühne (aus der Mitte der 1990er Jahre). Thalbach inszenierte selbstredend ganz anders und ich war nicht in der Lage, mich auf ihre eigene Ästhetik einzulassen (da bin ich mir inzwischen sicher).

Ich schildere das alles, weil ich mich inzwischen wiederholt gefragt habe, was mir durch meinen beschränkten Blick alles verborgen geblieben ist. Ich habe mich ehedem z.B. geärgert, dass der Maschendraht-Vorhang so gar nicht zum Innenraum des Gebäudes passte. Im Nachhinein habe ich mich oft gefragt, ob die Thalbach sich hier nicht schlicht zu dessen Geschichte verhalten hat, indem sie den Bruch mit seiner Tradition, der sich durch die Umfunktionalisierung 1952 ergeben hatte, optisch thematisierte. Auch habe ich damals viel zu wenig über die Theatertradition nachgedacht, die allein schon durch Brasch als Übersetzer und durch seine und Thalbachs Übersiedelung in die Bundesrepublik aufgerufen wurde. Tschechow – das war damals für mich die beinhae gänzlich leere Bühne am Lehninerplatz, das waren Imogen Kogge und Ulrich Matthes. Und das war nicht dieser feine klassizistische Bau unter den Kastanien, der durch seinen Namen heute die Erinnerung an die DDR-Kulturpolitik bewahrt und an dem die meisten Touristen vorbeispazieren, ohne ihn groß zu beachten. Ein Fehler.

 

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Volksbühne Berlin

8. Dezember 2016

Eigentlich steht bei meiner Rundreise durch die Berliner Bühnenlandschaft das heutige Konzerthaus am Gendarmenmarkt auf dem Programm. Aber da die Debatte um die Neuausrichtung der Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz weiterhin virulent ist, dachte ich mir, dass ich meinen Beitrag dazu vorziehen sollte. Beginnen wir vielleicht mit einem alternativen Blick. Ich hatte letztens das Glück, den amerikanischen Lyriker Donald Berger folgendes Gedicht lesen zu hören:

People’s Stage

I love how you looked on that day.
I didn’t know you and still
Don’t know you,
The day of the walking X’s, no, the walking wheels.

I have to be home before two.
I let in a miniature face.
The shadow under the S-Bahn bridge is cold.
The man-sized graffiti almost a comfort.

Take those thoughts of a hand the fireflower put it
Over the window that reads, in English,
The Unknown Friends.

(Donald Berger: The Long Time. Die währende Zeit. Poems/Gedichte. Aus d. Englischen v. Christoph König. Göttingen 2015, S. 10).

Als ich schon vor längerer Zeit die Volksbühne nachgebaut habe, hing mir – wie so vielen – noch der Tod von Bert Neumann nach. Ich wollte deswegen auf jeden Fall auch das große ‚OST‘ auf dem Dach der Volksbühne realisieren, was bei Lego ja nicht so leicht ist, weil Lego insgesamt kein Freund von Biegungen, sondern von Ecken und Kanten ist. Dementsprechend war aber der Rest der Volksbühne verhältnismäßig gut zu realisieren.

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Was ich damals hingegen nicht nachgebaut habe, war das ‚Räuber-Rad‘ oder auch ‚laufende Rad‘ aus Castorfs Räuber-Inszenierung (die ich leider nie gesehen habe). Dass ich’s nicht gebaut habe, war auch dem Umstand geschuldet, dass das Rad auf dem Vorplatz steht. Bergers Gedicht aber hat mich daran erinnert, wie sehr das Rad den Besuchern der Volksbühne schon früh signalisiert, dass sie jetzt einen besonderen Raum betreten – einen Raum, in dem andere, nicht-bürgerliche Ordnungen und die ganze Energie des Sturm und Drang herrscht.

Dieser Raum, den die Volksbühne bis heute besetzt, symbolisiert ideal, was sich seinerzeit schon Ivan Nagel und seine Mitstreiter von dem Haus erhofften, als sie das bis heute wirkungsmächtige „Gutachten“ (das ja eher ein Masterplan für die Berliner Theaterlandschaft war) vorlegten:

Das hässlichste große Theater Berlins ist (ebenfalls deshalb) am besten geeignet, um ein junges Theater zu gründen: mit ästhetischer Innovationslust, politischer Schärfe wie (und sicher ganz anders als) die einstige Schaubühne am Halleschen Ufer. In diesem Haus, mit der U-Bahn vor den Pforten, zwischen Prenzlauer Berg und Kreuzberg gelegen, den Platz mit dem Programmkino Babylon teilend, dem Liebknecht-Haus brisant benachbart, aus Art déco- und SED-Bau mit kostbar scheußlichem Material zusammengesetzt, ließe sich etwas bewegen. Das Haus ist nicht nur auf der Hauptbühne, sondern in drei Foyers und einer Studio-Bühne bespielbar: in seiner besten Nachkriegs-Zeit haben das Benno Besson, Manfred Karge/Matthias Langhoff, Heiner Müller vorgeführt – in Ostberlin unvergessen.

(Ivan Nagel: Streitschriften. Politik, Kulturpolitik, Theaterpolitik. Berlin 2001, S. 133).

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Verteidiger der aktuellen Entscheidung zur Neuausrichtung der Volksbühne erinnern gerne daran, dass auch das Gutachten von 1991 für viel Widerstand gesorgt hat. Das ist zweifellos richtig. Nur artikulierte sich der damals vor allem, weil die Westberliner Theaterlandschaft beschnitten wurde. Die Entscheidung, Castorf die Volksbühen zu überantworten, wurde zwar nicht immer begrüßt, aber im Zentrum der Debatte stand diese Entscheidung nicht.

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Dieser Blick zurück auf das Gutachten von Nagel führt vor, dass die Vorschläge damals auf der Basis von verschiedenen klar benennbaren Kriterien formuliert wurden: die neue Leitung sollte ein historisches Bewusstsein für den genius loci haben, ästhetisch innovativ, politisch ’scharf‘ sowie ‚jung‘ sein, was sich sowohl auf die Belgeschaft als auch das Publikum beziehen dürfte. Die künstlerische Spannung ergab sich also allein schon aus diesen Voraussetzungen: aus der ästhetischen Auseinandersetzung mit der Geschichte und dem Ziel, dafür mit ‚anderen‘ Mitteln ein ‚anderes‘ Publikum zu gewinnen.

In Berlin wurde knapp ein Jahrzehnt später, mit dem Wechsel der künstlerischen Leitung an der Schaubühne, erneut versucht, eine solche Grundspannung zu erzeugen. Auch die Besetzung der aktuellen Intendanz am Gorki, mit Shermin Langhoff seit 2013, war von einer solchen Innovationslust gekennzeichnet. Die aktuellen Entscheidungen in Berlin hingegen orientieren sich ganz augenscheinlich an einer ganz anderen Größe, nämlich am vermeintlichen Publikumsgeschmack. Das hat dazu geführt, dass auf einmal eine Riege älterer und alter Männer zusammen mit Sasha Waltz die Leitung aller demnächst vakanten Häuser überantwortet wird – in der Hoffnung, dass die das schon richten werden, weil sie’s bisher ja auch nicht schlecht gemacht haben.

Dass das bei der Volksbühne besonders viel Widerstand ausgelöst hat – und das sollte man sich in aller Deutlichkeit klar machen –, ist nicht nur dem Umstand zu verdanken, dass Castorf in den letzten 25 Jahren ein ganz einzigartiges Theater mit ganz speziellen Publikumsbindungen geschaffen hat. Es ist auch dem Umstand geschuldet, ästhetische Fragen nicht nur aktuell-diskursiv, sondern auch historisch zu reflektieren und so Ausdrucksformen Raum zu geben, die beispielsweise Nagel sicherlich fern standen. Offenbar ästhetisch wie politisch großzügig hat er gleichwohl ein Theater ermöglicht, das inzwischen ein Viertjahrhundert der Theatergeschichte Berlins geprägt hat. Man kann sich nur wünschen, dass mit dem heutigen Tag eine solche Hellsichtigkeit wieder in die Kulturpolitik Berlins einkehrt.

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Staatsoper Unter den Linden

20. September 2016

Als noch um den Wiederaufbau des Berliner Schlosses gestritten wurde, erinnerten die Befürworter einer vollständigen Rekonstruktion gerne daran, dass Unter den Linden bereits einige komplett wiederaufgebaute Gebäude stünden – neben der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Alten Wache insbesondere die Staatsoper, ehedem Königliche Oper Unter den Linden. Sie war, gut hundert Jahre alt, 1843 bis auf ihre Grundmauern abgebrannt und wurde anschließend innerhalb von vier Jahren wieder komplett an gleicher Stelle nachgebaut.

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In meinem Arbeitszimmer hängt ein kolorierter Kupferstich aus dem 19. Jahrhundert, der den Blick Richtung Schloss freigibt. Am linken Rand sieht man die Fassade der Staatsbibliothek, am rechten das Reiter-Standbild Friedrichs II. Das eigentliche Zentrum des Bildes aber ist die Staatsoper, das Schloss verschwindet dahinter blass, seine Kuppel löst sich fast schon im hellblauen Himmel auf, der das Bild ganz eigentümlich verwaschen überwölbt.

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Bis heute erinnert mich das Bild an die Debatte um den Wiederaufbau des Schlosses. Wenn man sich das Bild anschaut, bekommt man eine Ahnung vom historischen Gesamtensemble Unter den Linden und begreift, was gegen eine Lücke hinter der Oper sprach; der Linden-Boulevard hätte eigentümlich offen gewirkt. Das war auch ein Argument der Befürworter des Schlosses. Doch so ganz stimmt das nicht. Denn zumindest in meinem Bild ist die Oper das Zentrum, nicht das Schloss. Das mag erklären, warum sich der preußische König 1843 entschied, die Oper wieder aufzubauen. Sie ist sehr markant und verkündet den musenfreundlichen Anspruch des preußischen Staats.

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Gleichzeitig aber führt eben dieser Blick noch ein Zweites vor, das dem Opernbesucher immer sogleich klar ist und das sich in der Architektur des Portikus mit ihren seitlichen Treppenaufgängen niedergeschlagen hat: Notgedrungen nähert man sich der Staatsoper von der Seite, entlang der Linden. Das irritiert mich immer wieder (auch wenn ich zugeben muss, dass ich das Opernhaus vor seiner renovierungsbedingten Schließung nicht oft besucht habe). Anders als bei anderen Musentempeln kann man sich der Oper nicht frontal nähern. Die Linden sind hier sogar durch den gegenüberliegenden Ostflügel der Humboldt-Universität verhältnismäßig eng. Ein gezielter, den Zuschauer quasi zu einem säkularen Kunstgottesdienst einladender Gang direkt auf das Gebäude zu ist bei der Staatsoper anders als beim nur wenige Meter entfernten Alten Museum, dem der Lustgarten vorgelagert ist, oder beim ehemaligen Schauspielhaus, dem heutigen Konzerthaus am Gendarmenmarkt, nicht möglich.

Der Stich in meinem Arbeitszimmer vermittelt den Eindruck eines uneingeschränkten Bekenntnisses zur Kunst in Preußen, die Orientierung des Portikus parallel zum Boulevard lässt daran hingegen Zweifel aufkommen. Kein frontales Zuschreiten auf das Haus, sondern praktisches Vorfahren, um in ihm zu verschwinden. Der Blick entlang der Linden und zumal auf die Oper führt das Bekenntnis zur Fassade vor. Der Neubau des Schlosses hat dieses Bekenntnis in sein historisches Recht gesetzt.

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Schaubühne am Lehniner Platz

24. August 2016

Wann ich meinen Fuß erstmals in die Schaubühne am Lehniner Platz gesetzt habe, weiß ich nicht mehr genau. Ich weiß auch nicht mehr, was damals dort gegeben wurde. Aber ich erinnere mich, dass ich vom ersten Besuch an von dem Haus begeistert war. Die Schaubühne am Lehniner Platz war das erste Theater, das ich architektonisch wahrgenommen habe. Davor waren für mich alle Theater Häuser, die eine Guckkastenbühne ummantelten. Als ich zum ersten Mal in die Schaubühne trat, war gleich klar: das ist hier anders. Schon der Eingang in das beeindruckende Gebäude ist anders, zwar gepflegt, aber keinesfalls erhaben – kein Musentempel.

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Noch bei meinem ersten Besuch habe ich mir den Gebäudeplan in Ruhe angeschaut und begeistert festgestellt, dass der gewaltige Innenraum der Schaubühne auf ganz unterschiedliche Weisen genutzt werden kann. Der Innenraum ist deswegen so groß, weil das Haus ursprünglich von Ernst Mendelsohn als Kino konzipiert wurde und weil die Kinosäle in der Weimarer Republik deutlich größer waren als heute und zum Teil mehr als tausend Menschen Platz boten.

In den 90er Jahren, als ich anfing, das Haus regelmäßig zu besuchen, haben die Regisseure, die hier gearbeitet haben, diesen Raum auf ganz unterschiedliche Weise bespielt. Wenn man die Schaubühne durch den Haupteingang betritt, geht man an ihrer östlichen Seite zwischen der Glasfassade und der Mauer des Bühnenraums entlang, um den Saal durch Doppeltüren zu betreten.

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Der besondere Witz ist dabei, dass der Bühneninnenraum unterteilt werden kann und dass auch die Bestuhlung flexibel ist. So kann von Aufführung zu Aufführung ein neuer Raum entworfen werden. Zwar waren es in den 90ern meist Guckkastenbühnen, die hier u.a. für Andrea Breth und Klaus Michael Grüber gebaut wurde. Aber Breth hat z.B. gerne mit breiten, aber kaum tiefen Bühnen gearbeitet, die insgesamt auf Distanz zum Zuschauer setzten. Das konnte beim nächsten Theaterabend wieder ganz anders sein. Das Gebäude ist nicht nur dem Grundriss nach Richtung Norden halbrund (und deswegen mit Lego nicht gerade gut nachbaubar). Auch der Bühnenraum weist diese Rundung auf, und das haben einige Aufführung versucht zu berücksichtigen. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich das zuerst bei Edith Clevers Medea erlebt. Die Aufführung hat den Raum von Susanne Raschig übrigens akustisch hervorragend genutzt: Die Percussionistin Robyn Schulkowsky hat das Spiel musikalisch begleitet, den Raum akustisch ausgefüllt und dem Text durch das Spiel und seinen Nachhall den Widerstand geleistet, den Clever damals pathoserstarrt nicht mehr zu leisten vermochte.

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Im Hinblick auf die Nutzung des Raums war der Wechsel der künstlerischen Leitung von Breth zu Ostermeier und Waltz im Jahr 2000 zunächst ein großes Versprechen. Natürlich waren Ostermeiers epochale Kammerspiele, die er aus der DT-Baracke mitbrachte, hier nur bedingt gut aufgehoben. Aber er versuchte schnell, sich dem Raum anzupassen – etwa mit seiner Inszenierung von Dantons Tod 2001. Vor allem aber Sasha Waltz hat damals mit Körper gezeigt, was für ein großartiger Theaterraum die Schaubühne ist.

 

Inzwischen ist das aber Geschichte, auch wenn Ostermeier hier weiterhin Intendant ist.


Schlosspark Theater

11. August 2016

Nachdem ich bisher vor allem Theaterhäuser vorgestellt habe, mit denen ich besondere Erinnerungen verbinde, habe ich mir überlegt, dass es an der Zeit ist, mir mal ein Haus vorzunehmen, das ich von innen kaum kenne. Zwar bin ich früher sehr oft am Schloßpark Theater vorbeigefahren, aber als Theaterzuschauer war ich dort nur zweimal, wenn ich mich recht erinnere. Einmal habe ich darin irgendeine Kindervorstellung gesehen, einmal irgendeine schlechte Komödie. Keine Ahnung mehr, was konkret.

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Dass ich das Haus trotzdem nachgebaut habe, hat gleich zwei Gründe. Der erste ist schlicht ästhetisch-architektonischer Natur. Das Schlosspark Theater ist wunderbar klassizistisch, dabei aber kein konventioneller Musentempel. Man geht nämlich nicht direkt vom Säulenportal durchs Foyer in den Zuschauerraum. Der Eingangsbereich fügt sich vielmehr wie ein Seitenflügel an das eigentliche Haupthaus, so dass man in den Zuschauerraum gelangt, indem man ihn durch einen Gang erreicht, der parallel dazu an der rechten Seite des Zuschauerraums entlang führt.

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Der andere Grund ist, dass das Haus theatergeschichtlich von großer Bedeutung ist. Es war in Berlin, wenn ich das richtig weiß, das erste Theater, das nach dem zweiten Weltkrieg wieder eröffnet wurde. Geleitet wurde es dann für mehr als zwei Jahrzehnte von Boleslaw Barlog als Außenspielstätte der Staatlichen Schauspielbühnen Berlin (mit dem Schillertheater als Haupthaus). Im Schlosspark Theater hat z.B. die deutsche Erstaufführung von Warten auf Godot stattgefunden; im September 1953.

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Inzwischen hat Dieter Hallervorden das Schlosspark Theater gemietet und spielt hier ohne festes Ensemble Boulevardkomödien. Wenn ich Freunde in Steglitz oder Friedenau besuche, komme ich an dem Haus weiterhin regelmäßig vorbei. Dann denke ich an seine große Geschichte und werde ein wenig melancholisch. Aber nicht wegen seiner Historie, nein. Mir wird dann deutlich, wie sehr sich der Umgang der Politik mit dem Theater geändert hat. Steglitz ist weiterhin ein lebendiger Stadtteil, der wie damals auch heute ein wenig randständig ist. Trotzdem war es vor einem halben Jahrhundert offenbar selbstverständlich, dort Theater anzubieten – also anders als heute nicht nur dort, wo die Touristen sind, sondern auch dort, wo die Bürger sind.

 


Haus der Berliner Festspiele

11. Juli 2016

Wenn jeden Mai aufs Neue das Theatertreffen im Haus der Berliner Festspiele stattfindet, zeigt dies sich von seiner besten Seite. Eigentlich ist es egal, wie man sich dem Haus dann nähert – von der Spichernstraße etwa oder vom Kudamm. Rund herum ist alles grün. Die Restaurants bieten endlich auch draußen wieder Platz, rund um den Ludwigkirchplatz spielen Kinder, vor den Antiquitäten-Läden unterhalten sich die Kunden mit den Händlern. Großstädtisches bürgerliches Leben überall. In diese Umgebung hat Fritz Bornemann, der auch die von mir hier schon vorgestellte Deutsche Oper konzipiert hat, 1963 ein bis heute beeindruckendes Theater gebaut.

 

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Ursprünglich wurde es als festes Haus der freien Volksbühne konzipiert. Nach dem Krieg hatte sie ihr Stammhaus, die heutige Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz, durch die Teilung der Stadt verloren, residierte dann erst ein paar Jahre am Kudamm, um schließlich mit dem Mauerbau die Notwendigkeit eines eigenen Gebäudes anzuerkennen. Die Lage war ideal: nahe dem, aber eben nicht mehr im Zentrum des alten Westberlin, so dass ein Besuch des Hauses immer auch ein wenig Distanz versprach. Zudem war das Haus über die Bundesallee mit dem Auto oder mit der U-Bahn immer auch von den bürgerlichen Stadtteilen im Südwesten gut zu erreichen.

 

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Diese verhältnismäßig ruhige Lage dürfte einer der Gründe sein, weswegen das Haus im Vergleich zur Deutschen Oper gewissermaßen um 90° gedreht erscheint. Während die Oper zur Bismarckstraße Distanz schafft, indem ihre Betonfassade der Straße zugewandt ist und das Licht durch die seitlichen Glasfassaden ins Foyer fällt, präsentiert sich das Haus der Berliner Festspiele mit seiner wunderschönen breiten Glasfassade dem Zuschauer noch vor dem Eintritt offen und einladend, selbst wenn man sich dem Haus von Westen her nähert und zunächst den Vorbau sieht.

 

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Eröffnet wurde das Haus am 1. Mai 1963 mit Hochhuths Stellvertreter in der Regie des alten Piscator. Schnell avancierte die Freue Volksbühne in den Jahren danach zu einem Theater, von dem wesentliche Impulse ausgingen. Hübner wurde nach Piscator ihr Intendant, Grüber und Zadek inszenierten hier.

 

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Ich bin mir nicht mehr sicher, welche Inszenierung ich in dem Haus zuerst gesehen habe. Ich weiß aber, dass ich dort auch einen meiner fürchterlichsten Theaterabende erlebt habe. Im Januar 2004 hat hier Ulrich Mühe Heiner Müllers Der Auftrag inszeniert. Direkt vor mir saß Claus Peymann und versackte immer entsetzter in seinem Sitz. Nach dem Schlussapplaus sah ich weiter vorn Brigitte Maria Mayer dem Ausgang zustreben. Das Beste an dem Abend war noch, dass nach der Aufführung in der Warteschlange vor der Toilette ein noch recht junger österreichischer Schauspieler, den ich ein-, zweimal als Kommissar im Tatort bestaunt und der mir auch in ein paar anderen Rollen gut gefallen hatte, ein paar zynische Sprüche machte. Unter anderem meinte Christoph Waltz damals spitz, dass gute Film- und Fernsehenschauspieler auf der Bühne nichts verloren hätten – zumal nicht, wenn die von Erich Wonder sei. „Ich weiß, wovon ich rede, ich bin auch Österreicher!“, lachte er. Ich habe bis heute nicht nicht verstanden, was daran lustig war. Vielleicht war sein Lachen nur Ausruck seiner Verzweiflung ob des künstlerischen Elends auf der Bühne. Waltz ist dann wie die vielen anderen Gäste zur Premierenfeier abgezischt. Da würde die Band von Mühes Sohn Reggae spielen, meinte er betont bedeutungsschwer grinsend im Rausgehen. Spätestens diese Jamaika-Anspielung war für mein schlichtes Gemüt jedoch zu viel Happenig und ich beschloss, lieber in eins der naheliegenden Restaurants zu gehen. Ich weiß noch, wie ich mich fragte, ob das die richtige Entscheidung ist. Eigentlich wollte ich noch ein paar Freunde auf der Feier treffen. Doch beim Blick zurück auf das hell erleuchtete Haus schien es mir an diesem Winterabend nicht so einladend wie im Mai.

 

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Oshi-Deutsch statt Lego

29. Mai 2016

Nachdem sich nachtkritik zuletzt an meinen kleinen Lego-Theatern erfreut hat, war es an der Zeit, dass ich endlich auch mal wieder was über Theater schreibe und es nicht immer nur baue. Deswegen war ich am Freitag im Theater und habe mir die Uraufführung von Oshi-Deutsch angesehen. Wie’s war, könnt ihr wie üblich auf nachtkritik lesen.


Hebbel-Theater Berlin

23. März 2016

Nachdem ich im letzten Monat das Schillertheater nachgebaut habe, war es jetzt aus mehreren Gründen naheliegend, mir das Hebbel-Theater vorzunehmen. Zunächst schlicht deswegen, weil ich es erst zu Beginn des Monats besucht habe (im Rahmen des Müller-Festivals im HAU), so dass ich es mir noch mal aus der Nähe ansehen konnte. Dann aber auch, weil es lange die zweite große Spielstätte für Sprechtheater in Westberlin neben dem Schillertheater war (letztlich bis zum Umzug der Schaubühne an den Lehniner Platz). Außerdem hat das Haus eine besonders lange Geschichte, an die auch eine Tafel im Foyer sowie eine Miniatur des Zuschauerraums erinnern.

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Das Hebbel-Theater ist wie vielleicht kein anderes Theater der Stadt ein Spiegel der Entwicklung: Eröffnet wurde es vor gut 100 Jahren als Privattheater mit ehedem 800 Plätzen. Damals hatte Berlin offenbar noch ein Bürgertum. Während der Weimarer Republik war das Theater sehr erfolgreich, zahlreiche Stücke der klassischen Moderne wurden damals dort gespielt. Nach dem Krieg eröffnet es besonders früh, weil es weitgehend erhalten geblieben ist, was einem Wunder gleichkommt, wenn man sich seine Lage im Grenzgebiet zwischen Kreuzberg und Mitte klar macht – nur wenige hundert Meter von der Reichskanzlei, dem Potsdamer Platz und dem Anhalter Bahnhof entfernt. In den Jahrzehnten nach dem Krieg wurde das Haus immer wieder auf unterschiedliche Weise genutzt. Heute beheimatet es eine der drei Bühnen des Hebbel am Ufer (HAU). Damit ist es ganz in der Gegenwart des postdramatischen Theaters angekommen.

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Es mit Lego nachzubauen, war in der Hinsicht eine Herausforderung, weil es ähnlich wie das Schillertheater einen zentralen Rundbau hat. Allerdings nicht wie beim Bau in der Bismarckstraße in Gestalt des Eingangs selbst, sondern über diesem. In dem Theater sorgt das dafür, dass das Foyer mit der Kasse und der genannten Holztafeln weitgehend auf künstliches Licht angewiesen ist. Auch im Garderobenraum mit den Eingängen ins Parkett ist es verhältnismäßig dunkel, was auch durch die alte Holzverkleidung unterstützt wird (das Theater würde eine ideale Kulisse für einen historischen Theaterfilm abgeben). Nur im Oberrang profitiert der Zuschauer von der hohen, gebogenen Fensterfront.

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Was mich bei diesem Projekt zudem gereizt hat, ist der Kontrast, der sich zwischen den weißen Lego-Steinen und den massiven Steinen des Originals sowohl im Hinblick auf die Farbe als auch die Oberfläche ergibt. Er führt, so mein Eindruck, vor, wie sehr der Retro-Look, den das Theater in der Stresemann-Straße vermittelt, durch das Material und die unterschiedlichen Streingrößen entsteht – und auch durch die Verfärbungen des Steins im Laufe der Zeit.IMG_4529

Nicht auszudenken, wie viel Charme das Haus verlieren würde, wenn es einst in einer glatt-weißen Oberfläche erstrahlen würde, mit der derzeit gerne Städteplaner und Architekten jeden Unterschied und alle historische Vielfalt aus den Straßenzügen zu verbannen versuchen. Das sähe dann wohl in etwa so aus:

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