Konjekturale Praxis

Jüngst ist eine Rezension zum Sammelband Konjektur und Krux erschienen, den ich 2010 mitherausgegeben habe. U.a. wird dem Band vorgeworfen, dass versucht worden sei, die „Heterogenität der Beiträge [zu] kaschieren.“ (in: editio 25 (2011), S. 225-230, hier S. 225). Nun kann man sich natürlich darüber streiten, ob es Aufgabe von Herausgebern ist, ‚Homogenität‘ herzustellen und alle Beiträge auf Linie zu trimmen, oder ob es gerade für theoretische Überlegungen nicht vielmehr produktiv ist, wenn unterschiedliche Positionen versammelt werden, um sie kenntlich zu machen und um dadurch Meinungsbildung anzuregen. Wir haben uns für den zweiten Weg entschieden, der Rezensent bevorzugt offenbar den ersten Weg – das ist sein gutes Recht.

Wenn wir vier Herausgeber den Pluralismus der Beiträge aber tatsächlich hätten „kaschieren“ wollen, hätten wir wohl kaum bereits auf der ersten Seite der Einleitung u.a. auf „Reibungsflächen“ hingewiesen und auf das Bemühen, „kontroverse, gleichwohl konstruktive Standortbestimmungen“ vorzunehmen. Wir hätten dann auch nicht Aufsätze, die sich zum Teil explizit widersprechen, nebeneinander publiziert.

Ebenso wie diese Unterstellung hat mich auch die Auseinandersetzung mit den Vorüberlegungen von Uwe Wirth und mir zum Gegenstand des Buches irritiert. Nachdem wir zunächst brav mit „Bremer und Wirth“ genannt werden, geht die Rezension dazu über, für den Beitrag nur noch einen Autor zu nennen: „glaubt Wirth“, „Wirths Plädoyer“ (ebd., S. 226). Damit macht der Rezensent nun gerade das, was eine Konjektur auszeichnet: Aufgrund seines Kontextwissens stellt er eine Vermutung auf, welcher der beiden Verfasser die kritisierte Passage geschrieben haben dürfte. Der Rezensent zeigt damit zweierlei: 1. Sein Autorverständnis sieht kooperative Schreibverfahren nicht vor. 2. Er vertraut seiner Kritiker-Divination. Klassischer Fall von performativem Widerspruch im kleinen Philologen-Stadel.

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One Response to Konjekturale Praxis

  1. Frank Möbus sagt:

    Nun denn – offenbar handelt es sich um den Versuch, die Heterogenität der Herausgeber zu kaschieren!
    Vielleicht ist demnächst ja der Einfachheit halber von „dem Bremer Wirt[h]“ die Rede, der für diesen Cocktail verantwortlich ist …

    Dein Frank

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