Staatsoper Unter den Linden

Als noch um den Wiederaufbau des Berliner Schlosses gestritten wurde, erinnerten die Befürworter einer vollständigen Rekonstruktion gerne daran, dass Unter den Linden bereits einige komplett wiederaufgebaute Gebäude stünden – neben der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Alten Wache insbesondere die Staatsoper, ehedem Königliche Oper Unter den Linden. Sie war, gut hundert Jahre alt, 1843 bis auf ihre Grundmauern abgebrannt und wurde anschließend innerhalb von vier Jahren wieder komplett an gleicher Stelle nachgebaut.

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In meinem Arbeitszimmer hängt ein kolorierter Kupferstich aus dem 19. Jahrhundert, der den Blick Richtung Schloss freigibt. Am linken Rand sieht man die Fassade der Staatsbibliothek, am rechten das Reiter-Standbild Friedrichs II. Das eigentliche Zentrum des Bildes aber ist die Staatsoper, das Schloss verschwindet dahinter blass, seine Kuppel löst sich fast schon im hellblauen Himmel auf, der das Bild ganz eigentümlich verwaschen überwölbt.

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Bis heute erinnert mich das Bild an die Debatte um den Wiederaufbau des Schlosses. Wenn man sich das Bild anschaut, bekommt man eine Ahnung vom historischen Gesamtensemble Unter den Linden und begreift, was gegen eine Lücke hinter der Oper sprach; der Linden-Boulevard hätte eigentümlich offen gewirkt. Das war auch ein Argument der Befürworter des Schlosses. Doch so ganz stimmt das nicht. Denn zumindest in meinem Bild ist die Oper das Zentrum, nicht das Schloss. Das mag erklären, warum sich der preußische König 1843 entschied, die Oper wieder aufzubauen. Sie ist sehr markant und verkündet den musenfreundlichen Anspruch des preußischen Staats.

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Gleichzeitig aber führt eben dieser Blick noch ein Zweites vor, das dem Opernbesucher immer sogleich klar ist und das sich in der Architektur des Portikus mit ihren seitlichen Treppenaufgängen niedergeschlagen hat: Notgedrungen nähert man sich der Staatsoper von der Seite, entlang der Linden. Das irritiert mich immer wieder (auch wenn ich zugeben muss, dass ich das Opernhaus vor seiner renovierungsbedingten Schließung nicht oft besucht habe). Anders als bei anderen Musentempeln kann man sich der Oper nicht frontal nähern. Die Linden sind hier sogar durch den gegenüberliegenden Ostflügel der Humboldt-Universität verhältnismäßig eng. Ein gezielter, den Zuschauer quasi zu einem säkularen Kunstgottesdienst einladender Gang direkt auf das Gebäude zu ist bei der Staatsoper anders als beim nur wenige Meter entfernten Alten Museum, dem der Lustgarten vorgelagert ist, oder beim ehemaligen Schauspielhaus, dem heutigen Konzerthaus am Gendarmenmarkt, nicht möglich.

Der Stich in meinem Arbeitszimmer vermittelt den Eindruck eines uneingeschränkten Bekenntnisses zur Kunst in Preußen, die Orientierung des Portikus parallel zum Boulevard lässt daran hingegen Zweifel aufkommen. Kein frontales Zuschreiten auf das Haus, sondern praktisches Vorfahren, um in ihm zu verschwinden. Der Blick entlang der Linden und zumal auf die Oper führt das Bekenntnis zur Fassade vor. Der Neubau des Schlosses hat dieses Bekenntnis in sein historisches Recht gesetzt.

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