In eigener Sache

Wenn’s so heiß ist wie in den letzten Tagen, dann sehnt man sich nach einem Ort, der ein wenig Schutz vor der Kühle verspricht. Wir, die verhärmten und vom ewigen Messen, Lesen und Schreiben (und manchmal auch Denken) gebeugten Einwohner des Elfenbeinturms, haben es an solchen Tagen ausnahmsweise einmal sehr gut. Ja, mancher beneidet uns sogar. Denn im Elfenbeinturm herrscht, wenn nicht gerade eine Sau namens Reform durch unsere Gänge getrieben wird, nicht nur angenehme Stille, sondern eben auch wohltemperierte Kühle.

Allen Spöttern sei gleich entgegnet: Natürlich gibt es auch die mit Asbest verkleisterten Papp-Dinger, in denen es im Sommer noch fürchterlicher ist als in einer x-beliebigen U-Bahnstation. Aber wer will diese Gebäude ernsthaft zum Elfenbeinturm adeln?

Also: Da der Elfenbeinturm gerade im Sommer ein wenn auch selten frequentiertes, gleichwohl eigentlich sehr angenehmes Refugium ist, überrascht es nicht, dass seine Einwohner gerde jetzt über seine Vorteile nachdenken. Carlos Spoerhase, selbst Einwohner eines der schönsten deutschen Elfenbeintürme, hat das gestern in einem Artikel in der FAZ getan. Auf den Artikel kann ich hier leider nur konventionell verweisen, weil er nicht online ist: FAZ Nr. 195, S. N 5. Er geht von einem Aufsatz des Wissenschaftshistorikers Steven Shapin zum Elfenbeinturm (in: The British Journal for the History of Science 45 (2012)) aus. Die Pointe des FAZ-Artikels ist dabei jenseits von Shapin, dass Carlos den Topos vom Elfenbeinturm mit dem des universitären Leuchtturms überblendet. Mehr will ich hier dazu gar nicht sagen, weil es eine zweischneidige Sache ist, Freunde in der Öffentlichkeit zu loben.

Mir geht es um etwas anderes, nämlich um das Ansinnen an die Bewohnern des Elfenbeinturms, sie müssten auch einmal aus dem Elfenbeinturm heraustreten, um z.B. dem Gemeinwohl zu dienen. Shapin verweigert sich in seinem Aufsatz offenbar diesem Ansinnen und plädiert stattdessen für Kontemplation. Ich möchte auf dieses Ansinnen mit einer kleinen Erzählung antworten.

Die Schneckenhaus-Parabel

Im Urlaub bin ich an einem sehr heißen, drückenden Tag durchs Meer gewatet. Auf einmal schwamm vor mir ein wunderschönes, handtellergroßes Schneckenhaus. Ich habe es mit nach Hause genommen, weil es so schön war und mir als Andenken an den Urlaub dienen sollte. Gegen Abend bewegte es sich auf einmal. Im ersten Moment bin ich richtig erschrocken. Dann sah ich, wie langsam ein Einsiedlerkrebs aus dem Haus zu kriechen begann. Zwar wollte ich mein Andenken nicht aufgeben – aber dafür einen Krebs töten, das wollte ich natürlich nicht. Also habe ich den Krebs, dem es in dem Schneckenhaus bestimmt längst zu trocken wurde, in eine Schüssel mit Salzwasser gelegt, um ihn am nächsten Tag wieder ins Meer auszusetzen, damit er sich eine neue Heimat suchen kann. Am nächsten Morgen aber war der Krebs tot. Das Schneckenhaus habe ich mit nach Hause genommen. Aber eine Erinnerung an einen heißen Urlaubstag ist es nicht mehr, sondern an einen hilflosen Versuch, dem gar nicht so kleinen Einsiedler irgendwie seine Zukunft zu erhalten.

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