Die Grenzen der Philologie

Der bekannte Mediävist Joachim Bumke hat jüngst einen Artikel zum Status der Philologie in der Germanistik publiziert (FAZ, 9. 12. 2009, Nr. 286, S. N 3). Er stellt darin klar, dass der Ursprung des Fachs Deutsche Philologie in der Sammlung, Edition und Kommentierung primär mittelalterlicher Texte liege, was zweifellos richtig ist. Bumke weist sodann darauf hin, dass die dafür notwendigen Kompetenzen immer mehr Germanisten fehle. Das liege in erster Linie daran, dass in der germanistischen Ausbildung mediävistische Kompetenzen sehr zurückgedrängt würden. Damit hat er zweifellos recht – nur muss man sich auch mal fragen, warum das heute vor allem von denen beklagt wird, die in Amt und Würden waren, als über die Veränderungen beratschlagt wurde.

Sodann macht Bumke eine Opposition zwischen Philologie und literaturwissenschaftlichen Praktiken auf, die primär mit den  „theoretischen Prämissen und den theoretischen Implikationen der Texte und ihres kulturellen Umfelds“ befasst wären. Bumke meint mit Philologie in erster Linie Editionsphilologie. Nach seinem Dafürhalten sind alle anderen Formen wissenschaftlichen Umgangs mit Texten nicht Philologie.

Bumkes Position ist keine Ausnahme, man trifft sie recht häufig an. Nur heißt das noch nicht, dass sie richtig ist. Was Philologie im Kern ist, ist nämlich eine höchst umstrittene Sache. In den letzten rund 50 Jahren haben sich ganz unterschiedliche Wissenschaftler aus ganz unterschiedlichen Motiven die Philologie auf ihre Fahnen geschrieben. Und selbst im 19. Jahrhundert, auf das Bumke zurückgeht, war es keine ausgemachte Sache, was Philologie ist. Das zeigt schon ein vergleichender Blick in die Altphilologie.

Dass Philologie immer auch etwas mit Analyse des Textes zu tun haben muss, zeigt zudem auch Bumke selbst. Am Ende seines Artikels deutet er – indirekt auch die herrschende Praxis der vergangenen Jahrzehnte kritisierend – an, dass die Ausdünnung der Mediävistik vielleicht ja auch den positiven Nebeneffekt haben könnte, dass nicht mehr alles, was in irgendeiner Bibliothek aufgetan wird, ediert werden muss:

„Bereits Jacob Grimm war der Auffassung, dass nicht alles, was in Handschriften überliefert ist, veröffentlicht werden muss. Dieser wertende Gedanke – dass es Texte gibt, die die Mühe mehr lohnen als andere – könnte dann wieder mehr Gewicht erhalten.“

Im Klartext heißt das, dass die Editionsphilologie nicht an kritischen Urteilen vorbeikommt. Wie aber will sie dazu kommen, wenn sie nicht mit den „theoretischen Prämissen und den theoretischen Implikationen der Texte und ihres kulturellen Umfelds“ argumentiert?

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