Hass spricht

Vom Schluss von Kleists Hermannsschlacht existieren zwei Varianten. Gemeinsam ist beiden, dass sie mit einem Appell des Germanenfürsten schließen. In der frühen Fassung heißt es:

Und dann – nach Rom selbst muthig aufzubrechen.
Wir oder unsre Enkel, meine Brüder,
Denn eh‘ doch, seh‘ ich ein, erschwingt der Kreis der Welt
Vor dieser Brut der Wölfin keine Ruhe,
Als bis das Raubnest ganz zerstört,
Und nichts als eine schwarze Fahne
Von seinem öden Trümmerhaufen weht!

Dass angesichts des in diesen Zeilen offen zum Ausdruck kommenden Nationalismus das Stück von nationalistischen Schwachköpfen vereinnahmt wurde, kann man sich denken. Was man aber kaum für möglich hält, ist dass Kleist diesen Schluss sogar noch verschärft hat. Der viertletzte Vers lautet in der vollständigen Ausgabe, die 1821 posthum von Ludwig Tieck publiziert wurde:

Vor dieser Mordbrut keine Ruhe,

Die Römer zur Brut einer Wölfin zu deklarieren, war – Roms Gründungsmythos hin oder her – auch zu Kleist Zeit schon keine Höflichkeit. Schließlich hatte ‚Brut‘ auch damals einen eindeutig ‚gehässigen‘ Sinn, wie das Grimmsche Wörterbuch belegt. ‚Mordbrut‘ in der jüngeren Fassung verschärft die Aggression nun schon deswegen, weil die hier angesprochene ‚Brut‘ nach allen Gesetzen der Wortbildung aus dem Mord hervorgeht. Die Römer mutieren am Ende von Kleists Drama also von den Abkömmlingen der Wölfin zu solchen, die aus dem Morden erwachsen sind.

Von Judith Butler kann man lernen, dass hate speech erst wirkungsmächtig wird, wenn sie wiederholt wird. Zumindest die Wendung ‚Mordbrut‘  ist bemerkenswert wirkungslos geblieben. Grimms Wörterbuch kennt als einzigen Beleg diesen Kleist-Vers und selbst die allmächtige Suchmaschine wirft in erster Linie Hinweise auf die Hermannsschlacht aus. Möge ‚Mordbrut‘ in Ewigkeit ruhn!

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3 Responses to Hass spricht

  1. jge sagt:

    Was sagst Du denn zum versmäßigen Unterschied zwischen beiden Varianten? „Brut der Wölfin“ ist doch länger — ist also vielleicht weniger Semantik als Sound das Änderungsmotiv? (Na gut, er hätte „Wolfsbrut“ schreiben können.)
    Was die Wortbildung angeht, so denke ich, dass „Mordbrut“ Verkürzung von „mörderische Brut“ ist — gibt im Deutschen doch ein paar mehr Varianten der Wortbildung.

  2. kai bremer sagt:

    Ich bin mir beim ‚Sound‘ nicht sicher; Kleist verkürzt ja den Blankvers auf 4 Hebungen bzw. er hebt den Blankvers damit auf. Das finde ich schon auffällig – ohne dass ich das recht einschätzen kann. Immerhin werden die letzten vier Verse durch diese Änderung homogener als die Verse davor. Die Verkürzung wirkt also konzentrierter.
    Und: Klar, es gibt natürlich zahlreiche Variationen und Wortbildungsmöglichkeiten, aber „Mordbrut“ ist eben besonders prägnant – und da die „Hermannsschlacht“ insgesamt vielfach vereinnahmt wurde, finde ich es schon auffällig, dass die Aneignung sich offenbar kaum auf den Wortschatz ausgewirkt hat.

  3. jge sagt:

    Die Bemerkung zur Wortbildung bezog sich auf Deine These, dass eine Mordbrut eine ist, die aus dem Morden hervorgegangen ist, während es, denke ich, durchaus eine sein könnte, die mordet — ich finde also die Interpretation der Zusammensetzung nicht so überzeugend, weil das erste Glied der Zusammensetzung sich nicht zum zweiten wie die Ursache zur Wirkung verhalten muss, sondern eben auch wie die Tätigkeit zum Handelnden verhalten kann usf.

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