Gestern hat Moritz Rinke seinen Roman Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel erstmals öffentlich präsentiert – in Worpswede, wo er geboren wurde und der Roman spielt. Knapp zwei Stunden hat er vor über 300 Zuhörern in der ausverkauften Music Hall gelesen und sich den Fragen seines Verlegers Helge Malchow gestellt.
Im Roman hält Rinke – wie in jeder guten Satire – seinem Heimatdorf den Spiegel vor. Was das Publikum aber schon nach wenigen Minuten für das Buch und seinen Autor eingenommen hat, ist der schlichte Umstand, dass sich Rinke nicht über die Künstlerkolonie im Moor lustig macht, sondern gemeinsam mit den Menschen über die absurden Szenen des Lebens dort lacht. Rinke gibt damit die vielleicht schärfste Waffe, die die Satire hat, auf: die Distanz. Seine Zuneigung zu seinen Figuren macht es ihm unmöglich, über sie hart zu urteilen. Und so machte er es auch dem Publikum in der Music Hall unmöglich, ihn und sein Buch nicht zu mögen.
Das gelang auch deswegen, weil sein Roman nicht nur ein Buch voller Komik ist, sondern auch eins voller Traurigkeit. Rinke hat gestern nur wenige dieser traurigen Szenen vorgelesen. Aber es gab Momente, in denen er den Worpswedern einen neuen Blick auf die Heimat ermöglichte. Wohl nicht wenige werden sich gestern zum ersten Mal gefragt haben, was das für Menschen sind, die das bekannte Bordell am Ortsrand besuchen. Rinke las die Szene, da Peter Ohlrogge erstmals auftritt – ein gescheiterter Künstler, den das ganze Dorf verstoßen hat und der nun bei Regen immer ins Bordell geht und Fencheltee trinkt, während er auf die Frauen wartet. Als Rinke aus diesem Kapitel las, wurde es in der Music Hall ganz still – und viele sahen auf einmal ihr Heimatdorf, wie sie es nur selten, vielleicht nie sehen: aus der Perspektive derer, für die zwischen Kuhwiesen und Kultur kein Platz ist – trotz der Weite des Moors. So hat Rinke den Worpswedern ihren Ort näher gebracht, obwohl er selbst längst nicht mehr hier wohnt.
Doch gerade solche Szenen sind letztlich unabhängig von ihrer Umgebung anrührend. Jeder Zuhörer gestern hatte ein weißes Haus in der Nähe des Barkenhoffs vor sich. All die Leser, die Worpswede nicht kennen, werden aber irgendein Bordell vor sich haben – die geschilderte Szene verliert dadurch aber nichts von ihrer Traurigkeit. So hat Rinke den Grundstein gelegt, dass das Buch auch außerhalb von Worpswede die Leser begeistern wird.