Angenommen, in der Zeitung taucht die Nachricht auf, die letzten fünf Szenen eines Theaterstücks von einem vor einigen Jahren verstorbenen, einigermaßen bekannten Schriftsteller seien überraschend publiziert worden. In der Nachricht wird unmissverständlich klar gemacht, dass das Stück ganz und gar der Entstehungszeit verhaftet und latent propagandistisch ist. Am Ende des Artikels heißt es dann wenigstens noch, das Drama sei wirklich ganz ‚herrlich‘. Trotzdem: Wen würde das hinterm Ofen hervor locken? Wohl keinen.
Hat es auch 1818 nicht getan, als Johann Baptist von Pfeilschifter in der Zeitschrift Zeitschwingen die letzten Szenen aus Kleists Hermannsschlacht erstmals publizierte, nachdem sich der 1811 das Leben genommen hatte und es nie zum Druck oder zur Aufführung des Stücks gekommen war.
Die Literaturkritik heute ist da schlauer: Wenn Sie einen Text auftut, den sie für total wichtig hält, für den sich aber kein Mensch interessiert, dann schreit sie laut: „Skandal!“ Bis keiner mehr an dem Buch vorbeizukommen meint. So zu verfahren, wäre heute übrigens auch beim Zeitschwingen-Abdruck ganz leicht. Pfeilschifter druckte den Text, weil er sich den Dank seiner Leser „verdienen“ wollte, wie er es nannte. Solche Kinkerlitzchen wie Urheberrecht haben ihn nicht weiter interessiert. Der Ruf „Skandal“ blieb freilich aus. Schließlich war das Anfang des 19. Jahrhunderts mit dem Urheberrecht noch so eine Sache. Dass die Literaturgeschichte Pfeilschifter inzwischen weitgehend vergessen hat, ist also keine Strafmaßnahme wegen Urheberrechtsverletzung, wie man meinen könnte.