Ende des vergangenen Jahres ist in der kritischen Walter Benjamin-Ausgabe Band 8 erschienen: die Einbahnstraße von 1928. Darin legt Benjamin u.a. einige Meditationen über die „Technik des Schriftstellers“ vor. Sie machen unvermittelt deutlich, wie sehr sich die schriftstellerischen Arbeitsweisen in wenigen Jahrzehnten verändert haben. Benjamin räsoniert über Papier, Feder und Tinte (These IV). Dies Schreibwerkzeug mutet fremd, fern und langsam an. Ich weiß nicht, ob man heute noch eine Ahnung davon bekommen kann, was für eine Art des Schreibens das war.
An die Stelle der Reflexion über die Schreibutensilien ist das Bekenntnis zu verschiedenen Tastatur- und Maustypen, Betriebssystemen und Computerherstellern getreten. Ich kenne kaum einen Philologen, der sich über die Wahl seines Rechners nicht ausführlich Gedanken macht. „Schließlich bringt man mit der Kiste oft mehr Zeit zu als mit dem Partner!“, meinte vor einigen Wochen eine Kollegin. Es wird in Philologen-Kreisen, so mein Eindruck, sogar bemerkenswert viel über Computer, Betriebssysteme und Office-Programme philosophiert. Meist mit viel Verve. Eigentlich sind derartige Bekenntnisse oder auch Debatten darüber überflüssig, schließlich sind die Zeiten der Inkompatibilität vorbei – zumindest auf dem Software-Niveau, auf dem sich der gemeine Textwissenschaftler herum treibt. Trotzdem findet sich immer wieder das, was Benjamin mit Blick auf sein Schreibwerkzeug als ‚pedantisches Beharren‘ bezeichnet. So gesehen hat sich zwar das Werkzeug, nicht aber das sensible Verhältnis zum eigenen Schreiben verändert.
Was sich aber zwangsläufig verändert hat, ist der Umgang mit dem, was Benjamin „Eingebung“ nennt (VIII): „Das Aussetzen der Eingebung fülle aus mit der sauberen Abschrift des Geleisteten. Die Intuition wird darüber erwachen. “ Die Reinschrift ist Opfer der technischen Entwicklung. Vielleicht ließe sich der insbesondere von konservativen Zeitgenossen beklagte Umstand, dass nur mehr geistloses Zeugs geschrieben wird (zumal im Netz!), durch ein Gesetz beheben, das vorschreibt, dass alles, was publiziert wird (egal wo und wie!) zuvor einmal vollständig (und sauber!) abgeschrieben werden muss. Zum Wohle der Eingebung!
Das ist eine Frage der Einsicht :-): das nicht alles, was in den Rechner geschrieben wurde, obwohl es rein aussieht, weil daran herumediert wurde, auch schon Reinschrift ist. Mit Einsicht meine ich: reflektierte Erfahrung, die natürlich bei andern zu anderem Ergebnis kommen mag. Aber ich fand und finde es nützlich, den Ausdruck einer Rohfassung mit thesenartigen Zwischenüberschriften zu versehen und dann zu diesen Zwischenüberschriften den Text neu zu schreiben, auch die mir gut zu scheinenden Textteile noch einmal abzuschreiben.
Und das bedeutet, dass der digital arbeitende Wissenschaftler einige Überlegungen auf die Versionierung verwenden sollte. Bei Schriftstellern würde das auch gleich helfen bei der Erstellung einer kritischen Ausgabe :-))
Da weist Du auf einen ganz wichtigen Aspekt hin. Ich habe mir über Versionierung – ehrlich gesagt – noch gar nicht richtig Gedanken gemacht. Kennst Du gute Hinweise zur Versionierung wissenschaftlichen Arbeitens. Das ist ja auch eine Frage, wie ich sinnvoll Dateiordner anlege?
Bei Schriftstellern kenne ich das natürlich schon. Ich hatte im letzten Jahr das große Glück, viel Anteil an der Entstehung eines Romans nehmen zu können und da ist mir das sehr deutlich geworden. Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sind der Philologie bisher nur ansatzweise klar. Thorsten Ries hat darüber einen wichtigen Vortrag auf der Tagung der AG germanistische Edition im Februar in Frankfurt gehalten.
Versionierung bedeutet auf jeden Fall: Entscheidung, nämlich: wann ein Bearbeitungsschritt beendet ist und der nächste ansteht. Ich versehe Dateinamen von Dokumenten routinemäßig mit dem Datum der ersten Erstellung, z.B. Die Datumsschreibweise führt dazu, dass die neuste Version am Ende steht. Wenn ich überarbeiten will, vergebe ich einen neuen Namen bei „Speichern als“ . Der Ordner könnte dann heißen, und zugehörige Dateien, falls es welche gibt, könnte man auch dort ablegen. Funktioniert aber nur, wenn die Dateien auch den Inhaltsabschnitten entsprechen, die jeweils in Überarbeitungen stecken. Bei meinem Buch habe ich Ordner für Kapitel gemacht und diese mit Namen wie „01_Einleitung“ versehen, damit die Sortierreihenfolge der echten entspricht. (Bisher bin ich kein Freund eines Gesamtdokuments. Das hängt auch damit zusammen, dass Word früher mit großen Dateien mit vielen Fußnoten nicht zurechtkam.)
— Dafür hebe ich keine Ausdrucke auf, die Marginalien dort gehen eben in die nächste elektronische Version ein.
Wichtig bei alledem, das man eine vernünftige Datensicherungsstrategie hat, und dafür gefällt mir „Personalbackup“ sehr gut.
Oh, WordPress kann keine Spitzklammern. Da sollte stehen: mit dem Datum der ersten Erstellung, z.B. „neueraufsatz_100324.txt“.
Und dann: neuen Namen bei Speichern als „neueraufsatz_100325.txt“. Der Ordner könnte dann „neueraufsatz“ heißen.
Versionierung als Entscheidung – klingt fast schon nach einem Vortragstitel 😉
Meine Frage zielte darauf, ob es dafür auch Programme gibt, die mir das abnehmen oder die mir zeigen, wie ich sinnvoll versionieren kann. So wie mir Citavi bei der Literaturverwaltung helfen kann, wenn ich will. Ich dachte halt an so eine Art Verzeichnis mit Zeitebenen. Ähnlich wie es bei einer guten Verwaltung von externen Festplatten der Fall ist.
Nein, da kenn ich nichts. Citavi könntest Du auch zur Dokumentenverwaltung nutzen, aber so richtig würde das diesen Zweck nicht erfüllen, weil die Metadatenerfassung nicht auf Manuskripte und Versionen (=Ausgaben?) zugeschnitten ist. Vielleicht lohnt sich der Blick auf eine echte Dokumentenmanagement-Software? Aber die ist vermutlich wieder zu groß …