Im Zug

Habe mir wie meist einen Gangplatz reserviert, weil dann mehr Platz für die Beine ist. Ich strecke die Füße aus und lese. Den Servicewagen hinter mir höre ich nicht. Ich spüre ihn aber, als ihn mir eine junge Frau mit viel Schwung über den Fuß rollt.

„Vorsicht!“

Ich zucke zurück. Nicht weil der Fuß wirklich weh tut, sondern weil ich zur Vorsicht gemahnt werde. Ist lange her, dass mir jemand „Vorsicht!“ zugerufen hat. Da denkt man gleich, es wäre sonstwas passiert. Ich schaue die Frau an, sie lächelt und schiebt weiter.

„Entschuldigen Sie bitte!“ sage ich und frage mich umgehend, ob mein Tonfall wohl zu freundlich war, denn sie sieht mich lächelnd an und fragt: „Kaffee, Cola, was zu knabbern?“

„Entschuldigen Sie bitte!“, sage ich noch einmal, „Sie sind über meinen Fuß gerollt.“

„Ja, habe ich gemerkt.“

Betroffen blicke ich zu Boden. Die anderen Reisenden machen mir mit ihren Blicken unmissverständlich klar, dass ich nun endlich Ruhe geben soll. Mir wird das alles immer unangenehmer. In solchen Fällen verlasse ich mich gerne auf meine Höflichkeit. Ich stehe auf, blicke in die Runde und sage: „Entschuldigen Sie bitte!“ Der junge Mann, dem vor einiger Zeit die Bierflasche aus der Hand gefallen und die dann durch den Zug gerollt war, blinzelt verschlafen zu mir auf und fühlt sich irgendwie angesprochen:

„Vorsicht!“

Das klingt nicht gut. Ich drehe mich zu der Frau mit dem Servicewagen um: „Entschuldigen Sie bitte!“ „Was ist denn jetzt noch?“ „Haben sie auch Bier? Für den jungen Mann hier?“ Er sieht mich versöhnt an: „Nichts für ungut, Mann.“ Ich setze mich und schwöre mir, nie mehr einen Gangplatz zu reservieren.

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