Archivpluralismus

Marcel Lepper, Leiter der Arbeitsstelle ‚Geschichte der Germanistik‘ in Marbach,  hat 2008 die Frage gestellt: Zu welchem Ende sammelt und ediert man Vorlesungen aus Wissenschaftlernachlässen? (in: Geschichte der Germanistik 33/34, S. 48-56). In der neuen Ausgabe der Zeitschrift Trajekte des Berliner Zentrums für Literatur- und Kulturforschung zeigt Herbert Kopp-Oberstebrink, dass diese Frage schon vor über hundert Jahren aktuell war.

Unter dem Titel „Archive für Litteratur!“ (Trajekte 20 (2010), S. 37-45) hat der Berliner Philosophiehistoriker Überlegungen Wilhelm Diltheys zur Gründung von Literaturarchiven publiziert. In Auseinandersetzung mit dem damals jungen Weimarer Archiv spricht sich Dilthey für die Gründung von weiteren Archiven aus, die verschiedene Anliegen verfolgen – u.a. auch die Archivierung von Gelehrtennachlässen. Dilthey verfolgte, das zeigt Kopp-Oberstebrink überzeugend, die „Rekontextualisierung“ (S. 44) und arbeitete so einem erweiterten Literaturbegriff vor, der sich erst viele Jahrzehnte später durchsetzen sollte.

In den letzten Jahren ist Marbach wiederholt vorgeworfen worden, dass es sich zu sehr den Gelehrtennachlässen zuwende und zu wenig der Literatur. Dilthey wäre die Schwerpunkterweiterung Marbachs mutmaßlich sehr sympathisch gewesen – sowohl methodisch als auch im Hinblick auf den Archiv-Pluralismus. Schließlich ermöglicht erst dieser die Rekonstruktion einer differenzierten Entwicklungsgeschichte, die Diltheys Anliegen war. Dass wir dieser heute kritischer gegenüberstehen als er, stellt eine Herausforderung eigener Art da – aber keinen Widerspruch dazu, dass es sinnvoll ist, über seine Konzepte erneut nachzudenken.

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