Seit Wochen nimmt sich das Theater wieder einmal wichtig. Indizien?
1. Der Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier hat sich in Neuhardenberg gegen das Regietheater gewandt und damit deutlich gemacht, dass ein bestimmter Inszenierungstyp bei ihm prinzipiell keine Chance hat.
2. Botho Strauß hat gegen Gegenwartstheater und Schauspieler, die auch sowas Niederes wie den Tatort bedienen, gewettert, um Jutta Lampe zu preisen. Die Lampe ist freilich eine derart großartige Schauspielerin, dass es gewiss nicht notwendig gewesen wäre, den Rest klein zu machen, um sie erstrahlen zu lassen. Deswegen liegt der Verdacht nahe, dass es Strauß in seiner Laudatio gar nicht um die Lampe, sondern um sein eigens Unbehagen am Theater ging. Der Widerspruch liess auf jeden Fall nicht lange auf sich warten. Allerdings waren die Einwände von Ulrich Khuon und Thomas Ostermeier insgesamt derart differenziert, dass sich ein Streit aus Strauß‘ Polemik kaum ergeben wird. Eigentlich ein Jammer, wenn ein Lessing-Preisträger nicht einmal einen anständigen Streit anzetteln kann.
3. Der Jury-Entscheid auf dem Heidelberger Stückemarkt wird derzeit zum Skandal hochgepuscht. Die Jury hat sich geweigert, ein Stück auszuzeichnen und stattdessen dafür plädiert, das Preisgeld an alle ausgewählten Dramatiker auszuschütten. Eigentlich ein kluger Gedanke, trotzdem provozierte er. Glücklicherweise wehren sich die Jury-Mitglieder. So hat Christine Dössel von der SZ eine, wie ich finde, überzeugende Erwiderung verfasst. Zumindest diese Kontroverse hat das Zeug, sich weiterzuentwickeln – man darf gespannt sein.
Der Mai ist für solche Auseinandersetzungen ein günstiger Monat. Schließlich werden in Berlin beim Theatertreffen, eben in Heidelberg und in Mülheim permanent irgendwelche Inszenierungen, Dramen und manchmal auch Schauspieler zum ‚xxx des Jahres‘ erklärt, so dass andauernd irgendwer eine Rede halten oder ein Statement abgeben muss, was offenbar gerne zum Anlass genommen wird, um das eigene Unbehagen zum Ausdruck zu bringen. Aber irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass das alles nur Stürmchen im Wasserglas sind. Wer sich mit dem Theater auskennt, sollte doch wissen, dass Hybris ein schlechter Ratgeber ist.
Und vor allem fragt man sich, ob das Theater tatsächlich irgendwie von diesen Auseinandersetzungen profitiert. Ich weiß es nicht, doch ich befürchte, dem ist nicht so. Besser beraten scheint das Theater zu sein, wenn es sich vom ganzen Tamtam fernhält, seinen Job erledigt und das Publikum statt mit polemischen Reden mit guten Inszenierungen zu überzeugen versucht.
Am Mittwoch war ich in Bochum im prinz regent theater, einem auch überregional bekannten Off-Theater. Premiere hatte dort Kleists Prinz von Homburg. Regie führte die Hausherrin Sibylle Broll-Pape. Sie hat die bescheidenen Mittel des Hauses hervorragend genutzt und Kleists Drama ganz konzentriert auf die Bühne gebracht, ohne dabei in irgendeiner Weise antiquiert zu wirken. Den Schlachtplan etwa erläutert der Kurfürst an einer großen projektierten Karte von Fehrbellin. Doch lenken solche technischen Hilfsmittel nicht vom Kern des Dramas ab, so dass sein Zentrum auch das Zentrum der Inszenierung bleibt: mit einem Prinzen, dem man seine Zerrissenheit zwischen Lebenssehnsucht und Heroismus voll und ganz abnimmt.
Gleichzeitig ist die Aufführung auch mutig: Den berühmtesten Satz des Stücks („In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!“) brüllen die Schauspieler mit einer Begeisterung für die Sache des Kurfürsten, dass man gleich weiß, warum das Drama sich derart gut eignete, um von den Nazis vereinnahmt zu werden. Aber eben weil die Inszenierung die Kriegsbegeisterung nicht ausspart oder ‚dekonstruiert‘, funktioniert die Aufführung: Nur ein Prinz, der alles für den Ruhm zu geben bereit ist und dem gerade deswegen seine Natalie nicht das Einzige ist, dem kann am Ende Kottwitz zurufen: „Ein Traum, was sonst.“
Die Aufführung hat 1. belegt, dass eine starke Regiehandschrift kein Widerspruch zur Auseinandersetzung mit dem Drama sein muss (wie Stadelmaier meint), dass 2. sich ‚das‘ Theater heute nicht durch Bildungsferne auszeichnet (wie Strauß meint) und trotzdem lebendig sein kann und dass 3. gute Stücke nicht vom Himmel fallen und man nicht partout dauernd neue produzieren muss (wie der Kritiker der Heidelberger Jury meinen).
Das Publikum im ausverkauften Haus in Bochum hat den Abend genossen, der lange Schlussapplaus spricht dafür – ganz so als wollte man den Aufgeregten in Berlin, Heidelberg und anderswo zufrufen: „In Staub mit allen Reden vom Theater.“ Nur gingen diesem Ruf die Militanz, die Wut und selbstredend der Patriotismus der Brandenburger ab, was gewiss dazu führen wird, dass die Wichtigtuer den Ruf aus Bochum nicht hören werden. Schließlich sind die, die dauernd brüllen, oft schwerhörig.
Servus,
mir ist diese spannende Häufung von Kontroversen gegenwärtig auch aufgefallen und hats (knapp vor dir 😉 zu einem zusammenfassenden Posting geschafft.
Interessant finde ich, dass die unterschiedlichen „Gewerke“, gleichzeitig auch Theaterverständnisse und Generationen aneinander geraten. Direkt produktiv ist das nicht. Aber ich verstehs als sich ungelenk äußernden Unbehagen bei den Kombattanten, dass etwas faul ist im Theaterstaate, dieser insbesondere der dringlichen Gegenwart nicht gerecht wird. Lässt Besseres und noch Spannenderes erwarten. Oder man beginnt, sich auf nachtkritik gegenseitig verbal totzuschlagen.
Und jetzt les ich noch ein wenig in deinem Blog rum. Gefällt mir hier! Es braucht mehr Elfenbeintürme.
Moin postdramatiker,
wo findet man denn Dein posting zu dem Thema? Und vor allem: Hast Du eine Erklärung für die Kulmination? Mein Mai-Argument ist ja nicht hinreichend, schließlich gab’s in den letzten Jahren im Mai nicht ein solches Gewüte.
Schließlich: Vielen Dank für’s Lob!
Das Posting find sich hier: http://postdramatiker.de/?p=708.
Ich führs auf eine Wendezeit zurück. Nachdem alles was „Post-“ im Theater war in den letzten Jahrzehnten die Hinwendung auf ästhetisch Präsente vollzog (was zu kritisieren mir nicht einfällt), zugleich das Interesse auf eine textlich-szenisch kombinierte Auseinandersetzung mit der Gegenwart weithin ausfiel, drängt jetzt die Gegenwart mit Macht zurück. Ich hab im besagten Posting ein paar Themen aufgeführt, zu denen sich zu verhalten Theater nicht gelingt. Rückwendung auf Horvath oder meinetwegen auch Brecht reicht nicht, um unsere Zeit in den Blick zu bekommen.
Natürlich droht Theater immer, hinter die breite Presse- und Fernsehaufarbeitung der Gegenwart zurückzufallen (schon aus Gründen der Produktionszeit). Wo also wäre der Platz für Theater oder die theatrale Form, anders damit umzugehen, als „die Medien“? Meines Erachtens fehlt darauf eine Antwort.
Und so suchen die einen ihr Heil in der Rückwendung zu „dem Text“, die andern betonen die befreiende Wirkung von szenischer Macht, die nächsten wollen das Junge, den andernn reicht das Junge nicht. Ich fand dazu Esther Slevogts Rückschau aufs tt auf nachtkritik.de ganz erhellend:
„Das Misstrauen gegen den Text […] komme vielleicht daher, dass die Regiegeneration zuvor, also Peter Stein, Peymann und andere, sich ein wenig zu exzessiv mit dem Text befasst habe und nun Wege zu sinnlicheren Erzählformen gesucht würden, was ja sehr zu begrüßen sei. Dies aber stellte die drängenden Sinnsucher nicht wirklich zufrieden, die nicht satt geworden sind in diesem Jahr…“
http://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=4394:theatertreffen-2010-abschlussdiskussion-der-jury&catid=440:festivaluebersicht#comment-14007
Für mich – ums kurz zu machen – artikuliert sich nur ein ungerichtetes Missfallen am gegenwärtigen Theater und dessen Unfähigkeit, sich mit dem „sinnhaft“ auseinanderzusetzen, was rundrum vorgeht – ohne dabei in schlechte Traditionen von Polittheater oder Gutmenschentheater zurückzufallen.
Und eine Art Saisonausklangskater kommt vielleicht auch dazu :-))