Als Luther vor bald fünf Jahrhunderten seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirchen von Wittenberg hämmerte, war’s bald vorbei mit der betulichen Ruhe in dem kleinen Örtchen mit der kleinen Universität. Uns muss jetzt auch gar nicht die Frage beschäftigen, ob Luther wirklich die Thesen an die Tür genagelt hat oder nicht. Viel wichtiger ist, dass sie binnen weniger Wochen Veränderungen auslösten, die letztlich die gesamte damals bekannte Welt veränderten. Wohl selten war ein kurzer akademischer Text von einem Universitätsprofessor wirkungsmächtiger als die 95 Thesen.
Jetzt ist wieder ein Universitätsprofessor dabei, 95 Thesen zu publizieren – und zumindest ich halte den Atem an und warte gespannt, was passiert!
Seit Mai veröffentlicht der Frankfurter Literaturwissenschaftler Werner Hamacher, der unter anderem ein großer Celan-Kenner ist, sukzessive 95 Thesen zur Philologie im roughblog des Verlegers Urs Engeler. Nun macht natürlich schon die Publikation in Etappen klar, dass mein Vergleich mit Luthers Thesen nur bedingt trägt. Und mir ist auch bewusst, dass Hamachers Thesen nicht auf derart viel Interesse stoßen werden, wie die Luthers zum Ablass (das nur als Rechtfertigung für all die, die nicht wissen was Ironie ist).
ABER: Selten hat ein Philologe derart pointiert und zugleich reflektiert über Philologie geschrieben wie Hamacher jetzt. Vor allem nähert er sich dem Thema mittels Aphorismen und Zitaten, so dass seine ganzen Reflexionen zum Nachdenken herausfordern und gleichzeitig niemals ’schwer‘ und ‚beladen‘ daherkommen. Vergleichbar ist das vielleicht mit Friedrich Schlegel, dem aber – anders als Hamacher – gerade in seinen Reflexionen über Philologie die romantische Ironie immer wieder abgeht (was vielleicht auch daran liegt, dass seine Philosophie der Philologie nicht vielmehr als ein paar Notizen sind). In These 28 etwa denkt Hamacher über die notwendige Selbstvergessenheit der Philologie nach. Nur wer sich die bewusst macht, ja sie ganz und gar akzeptiert, hat die Chance im wahrsten Wortsinn Philologe zu werden.
[…] und Ironie In Philologie on 30. Juni 2010 at 06:13 Selten hat ein Philologe derart pointiert und zugleich reflektiert über Philologie geschrieben wie … ▶ Keine Antworten /* 0) { jQuery('#comments').show('', change_location()); […]
Ein großartiger Hinweis. Muss ich mir ansehen!