Berlin-Romane hat es in den letzten Jahren ja viele gegeben. Und eigentlich ist es völlig blödsinnig, sich einen zu kaufen, der auch noch Grunewaldsee heißt.
Da wusste ich eigentlich schon, was mich erwartet: Noch eine prosaische Liebeserklärung an noch einen anderen Flecken in der Stadt, noch eine verschrobene, wenn nicht gar gescheiterte Akademiker- oder Künstler-Figur, noch eine komplizierte, wenn nicht gar tragische Liebesgeschichte, an deren Ende der Held einsam und verlassen in der großen fremden Stadt, in die er einst mit so viel Hoffnungen gezogen ist, zurückbleibt. So wie Keimzeit einmal texteten:
Es ist nicht gelogen es ist die Wahrheit:
Der eigentliche Berliner ist zugezogen
Über einen kurzen oder einen weiten Bogen
Irgendwann in diese Stadt gezogen.
Schnell war dann auch noch klar, der Roman spielt Ende der 80er: Wendezeit und den netten Paul, der auf seinen Referendariatsplatz als Geschichtslehrer wartet, interessiert das nicht die Bohne. Kenne ich auch, Sven Regener lässt grüßen.
Kenn ich alles, alles, alles, denke ich beim Lesen. Und warum lege ich das Buch dann nicht weg? Ich bin doch kein „Was-man-anfängt-muss-man-auch-zu-Ende-lesen“-Leser. Also weg damit. Geht aber nicht.
Und das liegt nicht daran, dass der Protagonist Paul heißt, aus Niedersachsen kommt, das Ganze immer auch wieder sehr komisch erzählt ist und der Autor in Leipzig am Literaturinstitut unterrichtet. Auch das kommt mir bekannt vor, nur dass das vorliegende Buch nicht Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel, sondern eben Grunewaldsee heißt.
Was mich bei der Stange hält, ist Pauls seltsame Liebe zur Pfaueninsel. Das ist nun tatsächlich mal was Besonderes, denke ich. Dieser Paul macht nicht gerade den Eindruck, als hätte er seinen Wolf Jobst Siedler immer im Sakko stecken (ja er trägt nicht einmal eins). Trotzdem liebt er die Pfaueninsel, beneidet sogar eine frisch habilitierte Freundin um ihren Job als Führerin auf der Insel, obwohl die ihre Arbeit ganz fürchterlich findet und auch dementsprechend schildert.
Aber mir hat diese Liebe zur Pfaueninsel eingeleuchtet. Paul mag ihre künstliche Natürlichkeit, die Überschaubarkeit und zugleich auch diese Spuren von Geschichte, die trotz aller musealer Bemühungen irgendwie nicht funktionieren, wenn man am anderen Ufer die Grenzer in Sacrow zumindest ahnte. Die Pfaueninsel ist für ihn eine Art Utopia, eine Art Fluchtraum, der sinnbildlich für seine Sehnsüchte steht, die er sich nicht eingesteht und vor denen er immer wieder in seine bescheidene Kreuzberger Wohnung flieht. Paul möchte so gerne Wolf Jobst Siedler lesen und gleichzeitig Rio Reiser hören, ohne dass er sich dafür rechtfertigen muss. Aber er macht es nicht und gibt sich einer Liebe hin, die letztlich aussichtslos ist. Ein Buch für Melancholiker also.
Was das alles aber mit dem Grunewaldsee zu tun hat, sollte man selbst lesen. Ich habe die ganze Zeit darauf gewartet, dass das Jagdschloss oder ein paar Hunde noch eine Rolle spielen, aber das Buch ist eben nicht so erwartbar, wie ich anfangs dachte!
Das klingt nach einem Roman für mich. Kommt auf die Wunschliste.