Auf der IFA hat google-Chef Eric Schmidt eine Art neue Weltanschauung zu begründen versucht, die „Augmented Humanity“. Weil google wichtig und Schmidt schlau ist, setzt sich auch prompt die halbe Welt mit seinem Konzept auseinander. So hat Sascha Kösch bei de:bug eine kluge Analyse des Konzepts vorgestellt und die FAZ fühlt heute morgen Schmidt gleich einmal persönlich auf den Zahn, indem sie fragt, ob’s nicht auch bei ‚erweiterter Realität‘ hätte bleiben können (FAZ 209, 9.9.2010, S. 31, online derzeit nicht frei zugänglich- etwas absurd, dass der Artikel „Offenheit ist meine Religion“ heißt).
Nun ist google ja eine Firma, die alles weiß und jeder und jedem bei allen Fragen mit Rat und Tat zur Seite steht. Damit das in Zukunft nicht nur zuhause, sondern auch dann der Fall ist, wenn man gerade unterwegs ist, haben sie bekanntlich Android der Welt geschenkt. Ganz egal wo wir sind, google weiß das, zumindest wenn das smartphone an ist. Dann schenkt google mir viele, viele Infos, die mir das Leben leichter machen. Meine Welt erweitert sich, insoweit hat die FAZ mit ihrer Frage, ob’s terminologisch nicht auch ein bisschen kleiner gegangen wäre, ganz recht.
Das Problem, das hinter dieser Frage steht, ist aber, so scheint mir, vor allem ein sprachliches. Bei einem Begriff wie „Humanity“ neigt der deutschsprachige Hörer oder Leser, ob er will oder nicht, dazu, ihn durch „Humanität“ zu ersetzen. Das meint Schmidt natürlich gar nicht – zumindest nicht im ethischen Sinne. Google ist nicht auf einer humanitären Mission, um die Darbenden der ersten Welt mit Informationen zu versorgen. Was die google-Kreativen aber immerhin meinen, ist die Erweiterung der menschlichen Erfahrungen, wenn nicht gar des Menschseins an sich. Das ist schon ein sehr selbstbewusster Anspruch, der nach meinem Dafürhalten vermessen klingt. Aber das tut hier gar nichts zur Sache.
Was mich bei dieser netten Wortschöpfung in erster Linie verwundert, ist, wie wenig google bei seiner Wortkreation darüber nachgedacht hat, dass sie in anderen Sprachen wie dem Deutschen missverstanden werden und hier für Unwillen sorgen kann – zumal die eigene Reputation im Moment eh nicht gerade besonders gut ist. Die Deutschen tun sich bekanntlich mit humanitärem Engagement schwer – zumindest wenn es Züge unerwünschter Beglückung trägt.
Jetzt wäre es natürlich spannend zu erfahren, ob die google-Kreativen solche Kleinigkeiten wie Bedeutungsnuancen in anderen Sprachen schlicht nicht bedenken (was bezeichnend wäre für ihr Verständnis von Wissen) oder ob sie ihre Diskurshoheit als derart einflussreich bewerten, dass sie sich über solche Bedeutungsnuancen hinwegsetzen, weil sie nicht glauben, dadurch nachhaltig geschädigt zu werden. Eine Antwort auf diese Frage habe ich leider nicht gefunden, sie ließ sich nicht googeln.
P.S.: Wie ich eben sehe, hat die FAZ ihr sehr lesenswertes Interview inzwischen online gestellt.
Eric Schmidt sollte sich und uns alle lieber in Anschluss an Freud zum Prothesengott erklären. Aber „augmented reality“ sieht so schön nach einer Kreuzung von „Auge“ und „Argument“ aus und spricht sich so nett kompliziert wie eine Kreuzung aus Oger- und hawk-mented, das kommt einfach besser. Schon „virtual reality“ war für viele Deutsche so schwer auszusprechen, dass klar war, das muss was gutes sein.
Ich glaube, das Aufblähen dieses Gadget-Krams zu einer völlig undurchdachten Philosophie hat bei denen Methode – und ja, die sind sich ihrer Sache so sicher, dass sie eine etwas tiefer gehende Auseinandersetzung nicht für nötig halten. Zum FAZ-Interview hab ich bei mir ein bisschen polemisiert…
@Martin: na gut. Das ist jetzt aber sehr deutsch gedacht bzw. gehört, oder? Ich denke mal, dass man solche lautlichen Fragen (zumal bei einem Begriff der international etabliert werden soll) eh nicht richtig abschätzen kann. An Oger z.B. habe ich seit meiner AD&D-Phase nicht mehr gedacht 🙂
@Lukeman: Vielen Dank, die spannende Interview-Polemik habe ich auch gelesen. Ich frage mich aber (wenn denn Du recht hast), woher dieses Selbstbewusstsein kommt. Ist das so eine hop oder top-Mentalität. Schmidt deutet doch an, dass die selten länger als 1 Jahr planen, da muss man doch vorsichtiger sein, oder nicht?