In der an dieser Stelle schon wiederholt erwähnten Reihe Unbedingte Universität des Diaphanes-Verlags ist auch ein Heftchen mit dem Titel Jenseits der Exzellenz. Eine kleine Morphologie der Welt-Universität von Jan Masschelein und Maarten Simons erschienen. Das Buch bietet in der ersten Hälfte eine präzise Analyse der dominierenden politischen Diskurse, namentlich der EU-Leitlinien für die Hochschulpolitik. Diese Analyse zeigt detailliert, wie sehr Bologna einen Bruch mit der europäischen Bildungstradition markiert.
Doch deutet schon dieses knappe Zusammenfassung auch die Kritik an, die man gegen das Büchlein vorbringen kann. Es ist nämlich schlichtweg undifferenziert und teilweise auch naiv. Zunächst ist es natürlich purer Eurozentrismus, wenn man EU-Verlautbarungen untersucht und im Titel von der Morphologie der Welt-Universität spricht.
Dann wird man selbstverständlich ‚dem‘ europäischen Bildungssystem nicht gerecht, wenn es nicht differenziert wird. Es gibt schließlich ganz unterschiedliche Universitätssysteme, die auf zwei grundlegend differente zurückgehen – nämlich auf das humanistisch-lutherische und das humanistisch-jesuitische Bildungsprogramm, das dann in der Frühen Neuzeit vielfach ausdifferenziert wurde. Bildungstheoretiker – zumal wenn sie in Belgien forschen, das gewissermaßen an der Nahtstelle zwischen beiden Systemen steht – sollten das eigentlich deutlicher machen. Die Idee von Bologna war ja gerade die Vereinheitlichung und Anpassung einer sehr vielfältigen Hochschullandschaft, um europaweite Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Bologna ging es also gewissermaßen um ein groß angelegtes Artensterben und den Aufbau von Monokulturen – also um das, was die EU im Agrarsektor schon so erfolgreich betrieben hat. Demnächst kommt dann bestimmt die gen-manipulierte Bildungspolitik! Auf das Büchlein gemünzt aber heißt das: Wer diese Artenvielfalt nicht darstellt, der entzieht sich selbst die Grundlage, eine überzeugende Verlustgeschichte zu schreiben.
Schließlich stimmen Masschelein und Simons ein politisch motiviertes Loblied auf die Vorlesung an. Sie begründen dies nicht pädagogisch, sondern bemühen sich in Rückgriff auf Foucaults Heterotopie-Konzept darum, die Vorlesung als einen Ort des gemeinsamen leidenschaftlichen und tendenziell auch subversiven Denkens wiederzugewinnen:
Öffentliche Vorlesungen sind deshalb mit dem Entstehen eines neuen Bewusstseins verbunden oder mit einem Überraschen des Selbst, das die eigenen privaten Angelegenheiten übersteigt, dadurch dass Dinge zu einer öffentlichen Angelegenheit werden. Die Magie der Vorlesung kommt vielleicht dem nahe, was Latour ein „kollektives Experiment“ nennt. (S. 68)
Diese Begeisterung für die Vorlesung teilen ja bekanntlich nicht viele Menschen mit den beiden Autoren. Einmal davon abgesehen, dass Masschelein und Simons stillschweigend voraussetzen, dass die Vorlesung nicht etwa eine bloße Wiedergabe von Fakten ex cathedra ist (was sie in der guten alten Zeit freilich meist gewesen sein dürfte), finde ich an ihrem Vorschlag noch viel irritierender, dass der Erfolg ihres Konzepts vom sich öffnenden Raum des Denkens mit dem Charisma des Dozenten und der Aura der Veranstaltung steht und fällt. Charisma aber ist keine gute Voraussetzung für Kritik, und es stellt sich zudem die Frage, wie man eine solche Aura an einer normalen Massenuniversität schaffen soll. Oder wollen Masschelein und Simons zurück zur Gelehrsamkeit für ganz wenige, die zudem auch noch massiv alimentiert werden, wie das in Mittelalter und Früher Neuzeit oft der Fall war? Wohl kaum!
Es ist gewiss nicht immer verkehrt, sich an der Geschichte zu orientieren. Aber im Hinblick auf die Zukunft der Universitäten bietet ein Mischmasch aus ein paar poststrukturalistischen Ansätzen und einer Beschwörung der Zeit vor dem Sündenfall kaum Perspektiven für die Zukunft!