Wenn ich irgendwo das Wörtchen ‚gelehrt‘ sehe, dann freue ich mich immer und denke: Hey, da ist ein Verwandter im Geiste. Von ‚gelehrt‘ spricht schließlich kein Mensch mehr. Nur noch irgendwelche seltsamen ‚Frühneuzeitler‘ wie der Verfasser dieser Zeilen, der seine Studenten von Zeit zu Zeit mit Texten nervt, die eigentlich kein Mensch mehr liest. Dass niemand (bzw. eben kaum jemand) von ‚gelehrt‘ spricht, ist auch ganz plausibel, weil die, die das Wort verwenden, damit in der Regel einen Bildungsstand markieren, den es in dieser Weise nicht mehr gibt: nämlich die Gelehrten der Frühen Neuzeit und der Aufklärung.
Dass diesen Gelehrten bis heute so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, liegt unter anderem daran, dass sie eine eigene, quasi virtuelle Republik hatten, die Gelehrtenrepublik (république des lettres bzw. res publica litteraria), in der eigene Gesetze und Modi des vergleichsweise freien Meinungsaustauschs herrschten, während in den realen Staaten noch Könige und Kirchenleute regierten, die nicht gerade freundlich auf Meinungspluralismus reagierten. Dieser vergleichsweise liberale Umgang miteinander ist der politische Grund für das Interesse an dieser Republik. Viele sehen in der Gelehrtenrepublik eine Art Vorläufer des bzw. Vorbild für den Republikanismus.
In der Aufklärung etwa haben sich bekennende Republikaner schon früh für den freien Zugang zur Bildung eingesetzt. Der wie immer kluge Robert Darnton hat daran jetzt erinnert, und ich muss schon gestehen, dass ich ein wenig neidisch bin, auf was für weise Staatsgründer die Amerikaner zurückblicken können. Darnton verbindet seine Hinweise auf Jefferson und Franklin mit Überlegungen für eine nationale digitale Bibliothek und er schließt pathetisch:
By creating a National Digital Library, we can make our fellow citizens active members of an international Republic of Letters, and we can strengthen the bonds of citizenship at home. We can find the money and the skill, but can we find the will?
Klingt toll, oder? Ich bin bei so viel Bildungsoptimismus immer ganz angetan. Da weiß man endlich mal wieder, für welche Programme es sich zu engagieren lohnt. Über den Aspekt der Bürgerbildung habe ich beispielsweise bei den ganzen Debatten um Open Access noch gar nicht nachgedacht und dem ersten Eindruck nach, muss ich Darnton da voll und ganz zustimmen.
Nur frage ich mich gleichzeitig, was seine Mitbürger zu so einem Programm wohl sagen würden, wenn man es ihnen zum Beispiel beim Einkaufsbummel in der Innenstadt vorstellen würde – man wünscht sich ja ein emphatisches „awesome“. Aber vorstellen kann man sich das nicht.
Klingt toll. Und davon träumen bei uns auch einige. Die Open-Access-Woche war letzte Woche! Doch mit dem Zugang ist es nicht getan: eigentlich träumen wir ja auch von der Nutzung der frei zur Verfügung gestellten Dinge. Aber kennst + nutzt Du z.B. das ZVDD?
Ehrlich gesagt, nutze ich das nicht richtig. Das stimmt schon. Aber Darnton geht noch weiter, weil er seine Gedanken auch auf die Gesellschaft ausweitet. Wenn man sich jetzt fragt, wie kann das gehen, dann müssen wir uns wohl an die eigene Nase fassen und solche Themen weiter und weiter verbreiten. Das ginge schon damit los, dass man umgehend auf Kommentare im blog repliziert. Aber es geht halt nicht immer. Der Semesterbeginn ließ wenig Luft. Nun wird’s hoffentlich besser.