Während des Studiums bin ich samstags nach dem Frühstück gerne in die Bibliothek gefahren (die SUB in Göttingen, damals war der Neubau gerade so alt, dass die Kinderkrankheiten durch waren – also eine faktisch perfekte Bibliothek). Nachdem ich ein paar Dinge nachgeschlagen hatte, bin ich dann gerne durch die Gänge gegangen und habe Bücher und vor allem Fachzeitschriften ganz unterschiedlicher Diziplinen in die Hand genommen, von denen ich vorher noch nie gehört habe. Das war manchmal frustrierend, weil man merkte, wie wenig man kennt und weiß. Aber es war auch unheimlich spannend – eine banale wie überraschende Weise, ganz unterschiedliche Bücher kennenzulernen. Gegen 15:30 bin ich dann in eine der nahe liegenden Kneipen gegangen, Premiere gucken.
In der letzten Ausgabe von „Forschung und Lehre“ in der FAZ (3.11.2010, Nr. 256, S. N5) hat Thomas Ewald beklagt, dass niemand mehr durch die Bibliotheken schlendere und in ihren Beständen stöbere. Das liege auch daran, dass die Bibliotheken immer nutzerfreundlicher würden und die Wege zum Buch, angefangen mit der Recherche, immer kürzer. Der Zufallstreffer werde minimiert.
Das ist natürlich naiv. Zunächst wird faktisch der Zufall bei der Recherche meistens nicht reduziert, weil viele Bibliotheksbenutzer die Filter nicht präzise genug bzw. schlicht falsch einstellen. Und wer ein Buch sucht, der möchte es in der Regel auch lesen und zwar mit möglichst wenig Aufwand. Wenn also im kommenden Jahr tatsächlich einige Bibliotheken die RFID-Technik einsetzen, um den Nutzer direkt zum Buch zu navigieren, dann ist das doch eine sehr kluge Sache, finde ich.
Wie oft ist ein Buch schlicht verstellt? Wie oft habe ich schon in einer fremden Bibliothek gestanden und wollte nur ganz schnell etwas nachschlagen? Nun wird man tatsächlich nicht mehr genötigt, die Regalmeter abzugehen, die gar nicht interessieren, sondern findet gleich das Objekt seiner Wissensbegierde.
Den Glücklichen, die die Zeit zum Stöbern weiterhin haben und die sich gerne vom bibliothekarisch organisierten Prinzip Zufall lenken lassen, die müssen ja nicht auf die RFID-Navis zurückgreifen. Beim Autofahren gibt’s ja auch keine Navi-Pflicht. Und wenn ich meine Sonntagserfahrungen hochrechne, gibt es immer noch sehr viele Menschen, die beispielsweise am Tag des Herrn völlig unmotiviert durch die Gegend schleichen und den Ausblick in die Herbstlandschaft genießen. Da werden sich von Zeit zu Zeit gewiss auch ein paar Bibliothekswandler finden.
Wo hast Du denn das mit dem Büchernavigator her? Davon sind wir (leider?) noch etwas weiter weg. Aber das Objekt Deiner Begierde solltest Du auch so schnell finden, wenn es ein ordentliches Leitsystem gibt …
Im Augenblick wird RFID zur Diebstahlsicherung eingesetzt (wofür man auch die alten Magnetstreifen nehmen könnte), und vor allem zur automatischen Verbuchung. Die Fähigkeit zur Ordnung hat das Etikett auch, aber da muss ein Bibliothekar noch mit dem Messgerät am Regal entlanglaufen.
Was die Etiketten so leisten, hängt übrigens auch davon ab, mit welcher Strahlungsstärke sie aktiviert werden — und da gelten in Deutschland erheblich engere Grenzwerte als z.B. in den Niederlanden. Darum sind bei uns die Buchsicherungstore hässlich und eng, während sie dort auch weit und fast unsichtbar sein können.
Ich finde es eine interessante Frage, inwiefern die modernen Kataloge einen Ersatz für die Zufallstreffer bieten, die man früher fand, indem man im Kartenkatalog blätterte. Ganz abgesehen von den Funden, die sich beim Blättern in den alten Bandkatalogen ergeben…
Die Idee mit dem Bücher-Navi tauchte in dem FAZ-Artikel auf. Ich habe ihn aber nicht mehr zur Hand, deswegen weiß ich nicht, wie konkret das war. Online ist er leider nicht eingestellt. Habe mal geschaut.
Die Frage nach der Suche und ihren Voraussetzungen ist tatsächlich spannend. Als Du und ich in Göttingen anfingen zu studieren, da war der SUB-Bestand noch gar nicht vollständig im OPAC erfasst. Das bedeutete im Extremfall: ab in den (durchaus gut ausgebauten) Keller und nachschlagen im alten Band-Katalog bzw. in den Zettel-Katalogen der Seminarbibliotheken. Es war klar, dass man bei der Suche sehr stark von der Systematik der Bibliothek abhängig ist, wenn nicht gerade eine thematische Bibliographie existierte. Das hat sich, so mein Eindruck, inzwischen verändert. Gerade der Bedeutungsverlust der Systematik bei der Recherche scheint mir ein Problem zu sein, weil man mit ihrer Hilfe immer gleich auch einen Einblick in die Forschungsgeschichte bekam.
Magnus Klaue hat sich dazu auch einmal geäussert:
http://efdm.wordpress.com/?s=klaue