Maxim Gorki Theater Berlin

4. Januar 2018

Ans Maxim Gorki Theater in Berlin habe ich keine frühen Theatererinnerungen, die in meine Schul- oder Studienzeit fallen. Das ist deswegen bemerkenswert, weil ich mich mit dem Bau selbst schon früh befasst habe. Grund dafür war allerdings ein anderes Gebäude bzw. ein Denkmal – die Neue Wache.

Als Anfang der 1990er Jahre gestritten wurde, wie die Neue Wache in die deutsche Erinnerungskultur gewissermaßen ‚eingebaut‘ werden kann, habe ich mich länger mit ihrer Geschichte befasst. In diesem Zusammenhang habe ich mir auch das architektonische Gesamtensemble zwischen Unter den Linden und der Dorotheenstraße (ehedem noch Clara-Zetkin-Straße) mit der Universität, dem Zeughaus, eben der Neuen Wache und schließlich der Sing-Akademie, dem heutigen Gorki-Theater, angeschaut.

Geplant wurde das Haus – wie sollte es anders sein – von Schinkel, allerdings wurde es dann erst von Carl Theodor Ottmer realisiert. Überall kann man lesen, dass Alexander von Humboldt hier Ende der 1820er Jahre Teile der Kosmos-Vorlesungen hielt, also der Vorlesungen über die physische Verfasstheit der Welt, die aus seinen Reisen resultierten.

Genutzt wurde das Gebäude aber vor allem von ihrer Besitzerin, der Berliner Sing-Akademie. Ihr gehört das Gebäude bis heute (wie vor einigen Jahren der Bundesgerichtshof feststellen musste). Die Aufführungen der Sing-Akademie waren aber, wie man bei diesem Namen mutmaßen könnte, keine reinen Gesangsaufführungen. 1829 dirigierte Mendelssohn Bartholdy hier Bachs Matthäus-Passion. Zum Theater wurde das Haus erst 1952, um hier vor allem sowjetische Dramen zu spielen (daher dann auch der bis heute gängige Name).

Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, habe ich das Haus vor knapp 15 Jahren erstmals besucht. Erinnern kann ich mich sicher an eine Aufführung von Tschechows Möwe, u.a. mit Burghart Klaußner und Anna Thalbach. Regie führte Katharina Thalbach; die Übersetzung kam von Thomas Brasch, der nur wenige Tage nach der Premiere starb. In dem Programmheft finden sich zwei kleine Gedichte, die er kurz vor seinem Tod anlässlich der Inszenierung geschrieben hat. Das zweite lautet so:

Thalbach und Brasch

Der eine schreibt die Stücke und die andere spielt,
und beide wünschen sich das große Glück
auf dem Theater, wo das Leben schielt.
Was tut die Kunst? Sie schielt zurück.

So schreibt Herr Tschechow über unser Tun:
deines, Katharina, und meines auch.
Ein Lustspiel längst entwachsen seinen Kinderschuhn
sind Schreiber und Spieler auch: Bankkonto mit Bauch.

Wir sollten, sagt Tschechow, lachen
über die Tränen statt sie zu beweinen:
Nur wer sich selbst nicht ernst nimmt kann das machen,
was man Beruf nennt: deinen oder meinen.

(aus dem Programmheft der genannten Aufführung, Rückseite des Titelblatts)

Erinnern kann ich mich an die Aufführung noch sehr gut. Das liegt zunächst an dem Vorhang aus Maschendraht, der den Blick auf die Bühne zwar nicht versperrte, aber eigentümlich unterbrach. Der zweite Grund für meine gute Erinnerung ist, dass ich sehr gespannt war, ob Thalbach, die damals vor allem als Hauptmann von Köpenick von sich reden machte, als Regisseurin überzeugen konnte. Um es ehrlich zu sagen: Ich war eher enttäuscht, was aber vermutlich nicht zuletzt meinem Maßstab geschuldet war. Maßgeblich für meine Ästhetik war damals eindeutig Andrea Breths Möwe an der Schaubühne (aus der Mitte der 1990er Jahre). Thalbach inszenierte selbstredend ganz anders und ich war nicht in der Lage, mich auf ihre eigene Ästhetik einzulassen (da bin ich mir inzwischen sicher).

Ich schildere das alles, weil ich mich inzwischen wiederholt gefragt habe, was mir durch meinen beschränkten Blick alles verborgen geblieben ist. Ich habe mich ehedem z.B. geärgert, dass der Maschendraht-Vorhang so gar nicht zum Innenraum des Gebäudes passte. Im Nachhinein habe ich mich oft gefragt, ob die Thalbach sich hier nicht schlicht zu dessen Geschichte verhalten hat, indem sie den Bruch mit seiner Tradition, der sich durch die Umfunktionalisierung 1952 ergeben hatte, optisch thematisierte. Auch habe ich damals viel zu wenig über die Theatertradition nachgedacht, die allein schon durch Brasch als Übersetzer und durch seine und Thalbachs Übersiedelung in die Bundesrepublik aufgerufen wurde. Tschechow – das war damals für mich die beinhae gänzlich leere Bühne am Lehninerplatz, das waren Imogen Kogge und Ulrich Matthes. Und das war nicht dieser feine klassizistische Bau unter den Kastanien, der durch seinen Namen heute die Erinnerung an die DDR-Kulturpolitik bewahrt und an dem die meisten Touristen vorbeispazieren, ohne ihn groß zu beachten. Ein Fehler.

 

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„Andorra“ von Max Frisch

29. Dezember 2017

Zuletzt habe ich hier ja nur auf meine Beiträge auf nachtkritik.de hingewiesen. Das möchte ich heute auch tun. War nämlich kurz vor Weihnachten noch in Münster und habe dort eine Inszenierung von Frischs Andorra besucht, um die sich dann eine ganz muntere Dikussion entwickelt hat.

Dass ich hier ansonsten sehr schweigsam war, ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass ich durch das Reformationsjubiläum, dann aber auch durch einen beruflichen Wechsel vielfältig eingebunden war und trotz zahlreicher Bahnfahrten nicht dazu gekommen bin, hier ein paar kleine Gedanken zu äußern. Mit dem neuen Jahr kommen aber die Vorsätze. Ob’s was wird, werdet Ihr sehen.


Authentizität

31. Oktober 2017

Wolfgang Engler, der langjährige Leiter der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin, hat ein Buch über das zeitgenössische Bedürfnis nach Authentizität geschrieben. Auf nachtkritik habe ich mir dazu vor einigen Tagen ein paar Gedanken gemacht.


Luther auf der Bühne

11. Oktober 2017

Meinen ersten Luther-Vortrag habe ich im März gehalten; Schluss ist mit den Reformationsfeierlichkeiten ist zumindest für mich Ende November mit einem Abend-Vortrag. Dazwischen lagen weitere Diskussionen, Vorträge, Ausstellungsbeiträge und -besuche. Am letzten Wochenende habe ich dann zudem das Luther-Stück von Feridun Zaimoglu in Kiel besucht. Es hat der Reformation eine bemerkenswerte Facette abgerungen und war insgesamt sehr überzeugend. Wie’s genau war, habe ich auf nachtkritik ausgeführt.


Die Milchstraße

18. September 2017

hat geknurrt. Doch meinte sie mich? Ich weiß es nicht. Wie es ist, wenn sie knurrt, könnt ihr in Bielefeld sehen und auf nachtkritik.de lesen.


Spieltriebe

2. September 2017

Wenn ich es derzeit schon nicht schaffe, hier neue Beiträge zu schreiben, dann darf zumindest ein Hinweis auf meinen Besuch der Spieltriebe 7 nicht fehlen. Ergänzend dazu zumindest noch ein paar Foto-Impressionen.

 


Revolution

24. April 2017

Am Samstag, wenige Stunden bevor in Frankreich die Wahllokale geöffnet wurden, habe ich mir das französische Stück der Stunde, Pommerats Ça ira, in Münster angesehen. Wie diese dramatische Auseinandersetzung mit den Anfängen der französischen Revolution realisiert wurde und wie es mir gefallen hat, lest ihr auf nachtkritik.de.


Erdung

18. März 2017

Vielleicht das berühmteste der Sonette an Orpheus, das ‚Reiter-Sonett‘, beginnt folgendermaßen:

Sieh den Himmel. Heißt kein Sternbild „Reiter“?

(Über „Die Sonette an Orpheus“ von Rilke. Hg. v. C. König, K. Bremer. Göttingen 2016, S. 66).

Das Sonett ist nicht zuletzt deswegen so berühmt, weil es dazu eine besonders umfangreiche Deutungsgeschichte gibt (vgl. u.a. dazu ebd., S. 66-71 Christoph Schmälzle). Eine Pointe dieses Gedichts ist, dass das Pferd des Reiters nie ausdrücklich genannt wird und dass es gleichwohl schon mit dem ersten Vers präsent ist. Schließlich kann es einen Reiter ohne Reittier gar nicht geben.

Wie eine spielerische Antwort darauf erschien mir nun ein Gedicht Tranströmers, das ich jüngst gelesen habe. Die letzte Strophe seines Gedichts Caprichos, dessen Titel natürlich gleich an Goya denken lässt, lautet:

Im Raum da oben:
geräuschlos trabend, stiebend und schwarz,
ungesehen und ungebunden,
den Reiter abgeworfen:
ein neues Sternbild, das ich „Pferd“ nenne.

(Tomas Tranströmer: Sämtliche Gedichte. Aus dem Schwedischen von Hanns Grössel. München 1997, S. 38).

Diese Verse sind meinem Eindruck nach ein wunderbares Beispiel für die Leichtigkeit von Tranströmer. Er ironisiert die Reflexion bei Rilke, ohne sich darüber lustig zu machen. Tranströmers Ich blickt ebenfalls in den Himmel. Was bei Rilke Ausgangspunkt der Reflexion ist, ist bei Tranströmer jedoch Schlusspunkt: Nachdem das Ich zuvor durch abendliche Straßen gegangen ist, erlebt es nun die angenehme Einsamkeit. Es betrachtet entspannt den Himmel und erfreut sich an der Geschichte, die es dort sieht.

Dieser lakonische Reflex auf Rilke findet sich bei Tranströmer wiederholt. In Der halbfertige Himmel von 1962 ‚geht‘ gleich zweimal ein Baum: einmal am Beginn von Der Baum und die Wolke („Ein Baum geht umher im Regen“, ebd., S. 54), einmal am Ende von Der Klang („und die ruhigen Schritte eines Baumes, die ruhigen Schritte eines Baumes.“ ebd., S. 56). Das erinnert an den berühmten Beginn von Rilkes Sonetten (I,1: „Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung.“). Doch anders als bei Rilke schildern Tranströmers Gedichte dann nicht, was das Gehen bzw. die Schritte auslöst. Bei Tranströmer bewegen sich die Bäume fort, ganz selbstverständlich und ohne Ursache. Bei Rilke folgt das Steigen aus dem Gesang von Orpheus. Tranströmers Verse wenden sich gewissermaßen vom Künstler ab – von Orpheus, vom Reiter –  und der Natur zu. Aber indem sie das mit Metaphern machen, die an Rilke erinnern, halten seine Verse zugleich das Bewusstsein wach, dass es sich bei ihnen nicht um bloße Naturlyrik handelt, wie man beim oberflächlichen Lesen zunächst meinen kann.